Full text: Gedichte und Prosa (Teil 1, [Abteilungen 1 und 2], [Schülerband])

178 II] Verschiedenes. 
im Mai, wenn sie im Blütenschmucke prangen; weiß ist meine 
Lieblingsblume, die Lilie; die erste Blume, die nach dem 
Winter im Garten hervorbricht, das Schneeglöckchen, von 
dem der Vater sagte, es läute den Frühling ein, ist weiß. 
Darum ist weiß meine liebste Farbe!“ 
„Dafür lobe ich mir grün,“ sagte Emil. „Wie wohl— 
tuend ist es für das Auge, auf ein grünes Saatfeld hinzu— 
sehen! Grün ist der schattige Wald; grün sind die Wiesen 
und Matten; grün ist der weiche Rasen; ein grünes Gewand 
trägt der Jäger im dunklen Forst, Jäger will ich werden; 
odarum ist grün meine Lieblingsfarbe!“ 
„Aber ich kann euch doch gar nicht begreifen,“ sprach 
Paul, „daß niemand von euch die blaue Farbe liebt, das ist 
doch die schönste von allen. Die Wunderblume im Gebirge, 
von welcher uns neulich der Bergmann erzählte, ist blau; 
wenn ich sie nur erst gefunden habe, so kann ich mitten durch 
das Innere der Berge gehen und werde so viel Gold und 
Edelsteine bekommen, daß ich für die Eltern und für euch und 
für alle Leute in der Stadt die prächtigsten Häuser bauen 
lassen kann. Blau ist der Himmel, an dem Sonne, Mond 
und Sterne stehen, darum ist blau meine liebste Farbe.“ 
„Aber ihr werdet doch zugeben,“ sagte Otto, „daß auch 
die gelbe Farbe ganz prächtig aussieht. Habt ihr etwas 
Schöneres gesehen, als das große reife Kornfeld vor vier 
Wochen, das hinter unserm Garten sich ausdehnte und von 
vielen Bienen und Käfern umschwärmt war? Die gelbe volle 
Rose hier, hat sie sich vor ihren roten Schwestern zu 
schämen? Und dann denkt einmal an die glänzende Sonne 
und an den schönen Mond. Was kann es Schöneres geben? 
Gelb ist meine liebste Farbe.“ 
Nun fingen die Knaben an, sich zu streiten, wohl eine 
halbe Stunde lang; jeder verteidigte seine Lieblingsfarbe. 
Maria, die älteste Schwester, hörte still zu. Als der Streit 
etwas lebhaft wurde, sprach sie: „Kommt, ich will euch etwas 
zeigen.“ Sie führte die Knaben auf den freien Platz vor dem 
Gartenhause und zeigte ihnen einen Regenbogen, der eine 
leuchtende Brücke von der Erde zum Himmel zu bilden schien.
	        
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