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gelinde ist inzwischen gestorben — arglos und unbefangen, in der sichern Heiterkeit
der Unschuld nach Worms an dem Rheine. Reiche Gaben, rothes Gold und strah¬
lende Kleinode werden mitgeführt, um die Milde, die Freigebigkeit eines reichen
Königs am Hofe der Burgunden zu bethätigen; nur das Kind wird zurückgelassen,
Siegfried und Kriemhildens Sohn; es sollte seinen Vater und seine Mutter nimmer
wiedersehen.
Glänzender Empfang wartet der Gäste zu Worms; mit ihnen strömen zum Rit¬
terspiel Tausende von Rittern von allen weiten Wegen ein in die Thore der Königs¬
stadt; in prächtigen Reitgewändern reiten die Könige mit ihrem Gefolge durch die
Gassen, und herrlich geschmückt sitzen edle Frauen und schöne Mägdlein in den
Fenstern; Posaunen-, Trumben- und Flötenhall erfüllt die weite Rheinstadt, daß sie
laut davon erhallet; aber in die lauten, süßen Töne der Festesfreude fällt mit schnei¬
dendem Gegensatze der gellende Ton des eifersüchtigen Hasses, die heiseren Stimmen
des Zankes übertönen den süßen Flötenklang und kündigen den Mordschrei an, der
bald die Säle der Burg und die Gassen der Stadt, der bald alle Lande erfüllen
und noch nach tausend Jahren in den Herzen der späten Geschlechter erschütternd
wiederhallen sollte.
Die beiden Königinnen, Kriemhild und Brunhild, sitzen zusammen wie einst in
den schönen Tagen vor zehn Jahren und denken dieser Tage — Kriemhild in voller
Befriedigung, im reichsten Genusse des damals nur gehofften Glücks. „Ich habe
einen Mann, der es verdiente, daß alle diese Königreiche sein wären," so wallt ihr
treues, liebendes, argloses Herz über. Das war der Funke, welcher einschlug. „Wie
wäre das möglich?" entgegnete finster Brunhild; „diese Reiche gehören Günther und
werden ihm Unterthan bleiben." Kriemhild, gleichsam versunken in das liebende
Wohlgefallen an dem herrlichen Gatten, überhört die Worte des aufsteigenden Grolls
und fährt noch unbefangener, wo möglich, als vorher fort: „Siehst du wohl, wie
er dort steht, wie er so herrlich vor den Helden hergeht, wie der Mond vor den
Sternen? Darum ist mein Gemüth so fröhlich." Brunhild entgegnet, Günther gebühre
der Vorrang vor allen Königen, und Kriemhild antwortet, Siegfried komme ihrem
Bruder Günther doch wohl gleich. Da bricht endlich Brunhild zornig aus:
„Als dein Bruder mich zum Weibe gewann, hat Siegfried selbst gesagt, daß er
Günthers Dienstmann sei, und dafür halte ich ihn seitdem." Freundlich bittet Kriem¬
hild, diese Rede zu lassen; ihre Brüder hätten sie keinem Dienstmanne verlobt. „Ich
lasse die Rede nicht," entgegnete Brunhild trotzig; „dein Mann ist und bleibt uns
Unterthan." Da bricht auch Kriemhildens gerechter Zorn aus: „Und Siegfried ist
doch noch edler als Günther, mein Bruder, und es wundert mich nur, daß er so
lange Jahre euch weder Zins noch Dienste geleistet hat." — „Das werden wir
sehen," antwortete Brunhild, „ob man dich so ehren wird wie mich." — „Ja, wir
werden es sehen," ruft Kriemhild, „ob ich nicht bei dem heutigen Kirchgänge den
Vortritt vor dir haben werde."
Die Königinnen, gehen zur Kirche, nicht in freundlicher Gesellschaft wie bisher, viel¬
mehr jede abgesondert mit ihrem Gefolge edler Frauen. Brunhild steht vor dem
Münster und wartet auf Kriemhild; als diese anlangt, gebietet ihr Brunhild laut
vor allem Gefolge still zu stehen und spricht: „Eine Eigenmagd soll nicht vor der
Königin hergehen." Da flammt zum ersten Male der bittere Zorn des bis dahin
arglosen, liebenden Weibes auf: „Du hättest sollen stillschweigen; du bist von Sieg¬
fried gewinnet und schmählich verlassen, auch hat er dich bezwungen und gewonnen
und nicht Günther. Du selbst also hast dich einem Eigenmann ergeben." Doch begü¬
tigend und das kaum ausgesprochene schlimme Wort bereuend, setzt sie alsbald hinzu:
„Du bist selbst Schuld, daß wir in diesen Streit gerathen sind; mir ist es immer
leid, glaube mir das auf meine Treue; zu treuer Herzensfreundschaft bin ich immer
wieder bereit." Aber das Wort ist zu arg, Brunhildens Uebermuth ist gebrochen;