Dritter Abschnitt. Brandenburg - Preussen von 1640 — 1740.
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er. So wurde die bäuerliche Erbunterthänigkeit (die strenge Leib¬
eigenschaft gab es in Preussen eigentlich nicht) erträglicher.
In seiner Fürsorge für Handel und Gewerbe befolgte der
König dieselben Grundsätze wie der Grosse Kurfürst. Gewisse
Industriezweige, wie die Tuchfabrikation, Leinenweberei, Glas¬
industrie u. a. nahmen einen grossen Aufschwung.
Höhere Bildung verachtete er in seiner einseitigen Richtung
auf das Praktische — zum Präsidenten der Akademie der Wissen¬
schaften machte er einen Mann, der als sein Hofnarr gelten konnte.
Und doch ist der König der Schöpfer der preussischen Volks¬
schule geworden und hat begonnen den Schulzwang einzu¬
führen.
2. Der Nordische Krieg (1700—1721).
a) Die Jugend und anscheinende Unfähigkeit des schwedi- §*91.
sehen Königs Karl XII. reizte Peter d. Gr. von Russland,
August II. von Sachsen-Polen und Friedrich IV. von Däne¬
mark zum Abschlüsse eines Bündnisses, um Schweden seiner
Herrschaft über die Ostsee zu berauben.
Peter d. Gr. aus dem Hause Romanow (zu betonen Romanow)
hat für Russlands innere Entwickelung die grosse Bedeutung,
dass er das bisher ganz asiatische Land der europäischen Kultur
zu öffnen begann, freilich mit despotischen und grausamen Mitteln.
Nach aussen hin war das Ziel seiner Politik, an der Ostsee
und am Schwarzen Meer festen Fuss zu fassen; dort herrschten
die Schweden (sie besassen Finnland, Ingermanland, Esthland,
Livland; vgl. §41), hier die Türken, diese rings um das ganze
Meer. Daher musste er beide bekämpfen.
b) Wider Erwarten zeigte Karl XII. eine gewaltige Thatkraft.
Er warf sich zunächst auf die Dänen und zwang sie zum Frie¬
den, schlug dann (1700) die Russen bei Narwa (an der Narowa)
und wandte sich darauf, statt Peter weiter zu verfolgen, gegen
August II., den er aus Polen ganz verdrängte, worauf er einen
polnischen Grossen Stanislaus Leszczynski zum Könige wählen
liess; August musste im Frieden zu Altranstädt (westl. von Leipzig)
auf die polnische Krone verzichten (1706).