Full text: [Teil 3 = Quarta, [Schülerband]] (Teil 3 = Quarta, [Schülerband])

90 19. Erinnerungen aus der Kindheit eines deutschen Malers. 
Aber „der Verräter schläft nicht," sagt das Sprichwort. 
Eine mißgünstige Person, die vielleicht zu kurz bedacht 
worden war, hatte nichts eiliger zu thun, als die Sache anzu¬ 
zeigen. So geschah es, daß nach einem holden Traum von 
schönen Sonntagsbraten, da alle noch vergniigt beim Kaffee saßen 
und von den gestrigen Errungenschaften sprachen, die erschreckende 
Meldung kam: „Sämtliche Hausbewohner haben allfogleich — bei 
Strafe — das Fleisch an die Behörde abzuliefern." Es währte 
nicht lange, so sah man einen Trauerzug; mit wehmütiger Gebärde 
trugen die Weiber ihr Fäßlein mit dem Eingepökelten über die 
Straße nach dem Militär-Bureau, um es dort auf den Altar 
des Vaterlandes niederzulegen und dafür einen gnädigen Verweis 
in Empfang zu nehmen. Wir allein kamen gut dabei weg: denn 
Papa hatte als erfindungsreicher Odysseus in Übereinstimmung 
mit unserer Mannschaft den Ausweg getroffen, den Rest des 
Fleisches samt der großen Haut- lind Knochenmasse unseres guten 
Hessen abliefern zu lassen, während das gefüllte Waschfaß ruhig 
im Keller versteckt blieb und uns noch manche gute Mahlzeit lieferte. 
4. Ende August 1813 näherten sich die Alliierten mit einem 
Heere von 200000 Mann der Stadt. Am 25. donnerten die 
Kanonen in der nächsten Umgebung. Des Nachts leuchteten die 
Wachtfeuer der Russen und Österreicher von den Anhöhen, itnb 
die Leute fürchteten einen Sturm auf die Stadt. Kanonen 
rollten durch die finsteren Straßen, es war ein unheimliches 
Treiben lind Getöse in dieser schauerlichen Nacht, das allen Be¬ 
wohnern den Schlaf verscheuchte. Mit Angst und Spannung 
wartete man der Dinge, die da kommen sollten. 
Endlich brach der Morgen an, und bald erzählte man, 
Napoleon komme von Bautzen her an der Spitze der großen 
Armee. Nachmittags kamen denn auch die Regimenter im Eil- 
marsch die breite Amalienstraße herab, und ich lief hinunter und 
postierte mich an ein Eckhaus, um alles iu der Nahe zu sehe«. 
Wie erschöpft sahen die armen Menschen aus, welche zehn Meilen 
ohne Rast marschiert waren, bleich, hohläugig, ganz mit Staub 
überzogen; viele riefen im Vorübereilen mit heiserer Stimme 
nach Wasser, das ihnen niemand reichen konnte, denn es ging 
unaufhaltsam rasch vorwärts, den Ziegel- und Pillnitzerschlägen 
zu, vor welchen sie der Kampf erwartete.
	        
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