Full text: Auswahl patriotischer Prosa aus der Zeit der Erhebung Preußens (1806 - 13) (71/72, [Schülerband])

2 Auswahl patriotischer Prosa. 
höher zu steigen wähnten, glitten wir abwärts und stürzten 
dann ebenso plötzlich hinunter. Denn wir begannen auf unsere 
Stärke zu pochen, auf die Furcht uns zu verlassen, welche wir 
185 anderen Völkern einflößen könnten, und so sollte uns ohne 
Anstrengung der eigenen Kraft, ohne eigene gottgefällige Werke 
die Nachwirkung des alten Ruhmes immer höher tragen; wir 
wurden der Mann, der Fleisch für seinen Arm hält, und dessen 
Herz von dem Herrn weicht. Unredlicher Gewinn vergrößerte 
190 unser Gebiet auf eine mehr scheinbare als gedeihliche Weise, 
denn wir gewannen nur wenig wahre Brüder, die gern den— 
selben Gesetzen folgten und auf dasselbe Ziel arbeiteten; indem 
andere Staaten sich anstrengten und aufrieben in immer 
wiederholten Kriegen zum Teil um dieselbigen hohen Güter, 
195 für die wir jetzt kämpfen wollen, meinten wir durch die Ruhe 
immer mächtiger zu werden und furchtbarer. So solgte all— 
mählich auf die trotzige Klugheit eine verzagte, und wir wurden 
noch auf eine andere Weise der Mann, der sich auf Menschen 
verläßt; denn auch wer Menschen schmeichelt und sie fürchtet, 
200 verläßt sich auf Menschen. Mit unserm Ruhm selbst ward 
auch unser Ehrgefühl je länger je mehr ein Schattenbild. Und 
immer mehr wich unser Herz von dem Herrn; in einem auf⸗ 
geblasenen unnatürlichen Wohlstand verloren sich immer mehr 
die alten Tugenden, eine Flut von Eitelkeit und Verschwendung 
205 verheerte die mühsamen Werke langer besserer Jahre; und wie 
deullich sich auch die Stimme des Herrn vernehmen ließ und 
uns ermahnte zur Buße: wir gehorchten ihm nicht, wir taten 
Böses vor seinen Augen, und darum reuete ihn das Gute, 
das er verheißen hatte uns zu tun. Und plötzlich, als es eben 
210 schien, wir wollten uns aufraffen aus der langen Verblendung 
und Betäubung, in der aber die meisten nur noch ärger als je 
befangen waren, plötzlich redete der Herr wider uns als wider 
ein Volk und Königreich, das er ausrotten, zerbrechen und ver— 
derben wolle. Da überfiel uns jenes schwere, zermalmende 
21l5 Kriegsunglück, und auf diesen plötzlichen Sturz von der Höhe 
in den Wgrund folgte das immer tiefer und schmerzlicher sich 
eingrabende Verderben des Friedens. Ich rede nicht von den 
Enlbehrungen, von der Not, von der Verarmung, von der 
immer steigenden Verwirung in allen äußeren Lebensverhält⸗ 
220 nissen, sondern nur von dem innern geistigen Verderben, das
	        
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