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104. Die schätzende Hand Gottes.
Zwei kleine Mädchen von 11 bis 12 Jahren wollten in
einem benachbarten Dorfe des Schwarzwaldes an einem
Wintertage ihre Verwandte und Pate besuchen. Den Spinn¬
rocken in der Hand, gehen sie aus ihrem Dörflein nach dem
Wald und Gebirge hinaus und achten die Schneeflocken
nicht sonderlich, die freilich immer dichter und dichter auf
sie herabfallen. Denn sie sind ja bald halben Weges, und
jenseit des Berges und Tannenwaldes, auf den sie losgehen,
kann man schon das Dorf, wo die Pate wohnt, sehen. Aber
als sie nun oben auf der Höhe und mitten im Walde sind,
wird das Schneegestöber so furchtbar, daß die armen Kinder
keinen Weg mehr sehen und nicht mehr vor- noch rückwärts
können. Da drängen sie sich am Rande eines Hohlweges
in eine kleine Höhle hinein, die der Schnee über ein Tannen¬
gebüsch hinweg gewölbt hat. Vorher aber stecken sie ihre
beiden Kunkeln oder Spinnrocken ineinander, so daß eine
kleine Stange daraus wird, befestigen oben ein rotes Tüchlein
daran und stellen dann dieses Notzeichen auf das Dach
ihres Schneehäuschens. Als nun die Nacht kommt und das
Schneegestöber immer ärger wird, so daß bald der Eingang
zu der Höhle, in der sie sind, zugeschneit ist und man durch
den Schnee hindurch das Geschrei des Uhus und das
Brausen des Sturmes kaum hören kann, mag den armen
Kindern wohl bang genug geworden sein. Sind sie ja doch
ohnehin im Schnee bei lebendigem Leibe begraben, ohne
Sarg, und ohne daß der Totengräber eine Schaufel angesetzt
hätte! Aber Gott schützt die Kleinen so vor wilden Tieren
und dem tödlichen Froste, und, eng aneinander gedrängt,
schlafen sie zuletzt ein.
Ihre Eltern schlafen zu Hause auch ganz ruhig; denn
sie glauben, die Kinder sind bei der Pate gut aufgehoben.
Als sie aber am andern Morgen einen Boten ausschicken,
der die Mägdlein holen soll, und dieser sie nicht findet,
geht sogleich alles, was laufen kann, mit Schaufeln in den
Wald, um die Kinder zu suchen. Da sieht man denn das