Full text: Von der Vertreibung der Juden aus der pyrenäischen Halbinsel bis zur Wiederherstellung ihrer bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte in den Kulturstaaten (Teil 4, [Schülerband])

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. Inmitten dieses mannigfach bewegten geistigen und politischen 
Lebens der europäischen Menschheit wandelten nur die Juden noch 
weiter in der Nacht des Mittelalters, das für sie nicht endete, als mit 
dem sechzehnten Jahrhundert das Licht eines neuen Tages für die 
Mitwelt aufgegangen war. Länger als ein Jahrtausend hindurch waren 
sie mit der allgemeinen Kultur vorwärts gewandert, dem Sonnenlichte 
nach, fortschreitend und innerlich reifend auf dem Zuge von Osten nach 
Westen. Jett trat der erzwungene Rückschritt ein. Gewaltsam dräugte 
man sie nach Osten zurück und zwang sie zum geduldigen Ausharren 
in Nacht und Finsternis. 
Diejenigen Flüchtlinge, deren Väter einst in Spanien erfahren 
hatten, daß die Lage der Juden dort eine bessere sei, wo alle drei 
Religionen nebeneinander wohnten und nicht eine allein von allen 
Staatsrechten ausgeschlossen werden konnte, wanderten nach den mohamme- 
danischen Reichen und zerstreuten sich bis an den Euphrat. Die 
deutschen Juden aber, an gar enge und kleinliche Zustände gewöhnt, 
waren froh, in den slavischen Ländern eine Stätte zu erreichen, wo 
sie wenigstens ein erträglicheres Los fanden, als ihr bisheriges gewesen 
war. Sie nahmen in die Fremde vor allem ihren gottesdienfstlichen 
Ritus mit, der sich mit der Zeit vom deutschen in den polnischen 
verwandelte, und dazu ihre damals richtige deutsche Sprache, die sich 
allmählich mit hebräischen und anderen sprachlichen Bestandteilen 
mischte und zum jüdisch-deutschen Dialekt verbildete. Bis an die 
Ufer der Wolga und darüber hinaus bürgerte sich diese Mundart mit 
den Juden ein und in allen diesen weiten Länderstrecken bildeten die 
ehemals deutschen Juden einen Hauptteil der Einwohnerschaft. Sie 
waren hier nahezu die einzigen Handel- und Gewerbetreibenden und 
wurden zu ihrem Unglück vom Adel des Landes als Werkzeug miß- 
braucht, um die tatarische Urbevölkerung durch Wucher und Trunk zu 
verderben. Auch in dieser kümmerlichen Zeit, inmitten der Unwissenheit 
und sittlichen Verworfenheit ihrer Umgebung, behielt der Geist der 
Juden seinen regen Trieb nach idealer Betätigung und ihr Gemüt sein 
menschliches Mitgefühl. Hingebung und Treue heiligten jedes Haus 
und wahrhaste Bruderliebe verwandelte den Flüchtlingen die Fremde 
zur Heimat. Wohin auch der verarmte, vertriebene Jude kam, überall 
empfingen ihn seine Glaubensbrüder wie einen Angehörigen. Er war 
kein Bettler, kein Fremdling, sondern ein Gast, der seinem Gasstfreund 
eine Ehre antat. So gelangten mitten im Elend die edelsten Gefühle 
zu herrlicher Blüte. 
Hierher nach den slavischen und türki schen Ländern, in welchen 
von einheimischer Kultur und Wissenschaft kaum die Rede war, wurde
	        
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