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fort und war bestrebt, dem Synhedrium die religiöse Oberleitung des
Judentums zu sichern.
Er wollte dabei keineswegs die freie Meinungsäußerung beschränken
oder gar behindern. Nur darauf war sein Augenmerk gerichtet, daß,
je unbeschränkter die Freiheit des Denkens, Forschens und Lehrens
blieb, desto strenger und eifriger auf gleichmäßige Einheit in der Aus-
führung des Gesetzes gehalten wurde. Wer der einmal getroffenen
Entscheidung entgegen zu handeln wagte, sette sich der verdienten
Strafe für die Auflehnung gegen die höchste religiöse Behörde aus.
Ja Rabban Gamiliel hielt sogar dann mit eiserner Unbeugsamkeit an
diesem Grundsatz fest, wenn gegen einen rechtmäßig zustande gekommenen
Beschluß nachträglich noch so gewichtige Gründe, sselbst von sonst aner-
kannter Gelehrten, vorgetragen wurden.
Sein Konflikt mit R. Josua. Einst war unter Rabban Gamliels Vorsitz
der Neumond des Tischri auf einen bestimmten Tag festgesett worden, als hinterher
der hochangesehene Rabbi Josua, einer der fügsamsten und bescheidensten Schüler
Rabban Jochanans, begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit des vorangegangenen
HZeugenverhörs auszusprechen wagte. Trotzdem beharrte der Patriarch bei dem einmal
gefaßten Beschlusse und befahl dem allgemein beliebten Gegner, in werktäglichem
Reisekleide mit dem Geldbeutel in der Hand an demjenigen Tage vor ihm zu er-
scheinen, der nach seiner, Rabbi Josuas, abweichender Rechnung der Versöhnungs-
tag hätte sein sollen. Heftig sträubte sich der Weise, dem Begehren nachzukommen,
bis seine geseßeskundigen Freunde ihn von der Notwendigkeit überzeugten, daß jeder
Einzelne sich unbedingt den einmal getroffenen Entscheidungen unterwerfen müsse.
Das sah Rabbi Josua ein und gehorchte Rabban Gamliels Befehle. Als er bei
ihm eintrat, umarmte der Patriarch den Nahenden mit den Worten: „Wahrlich,
mein Lehrer und mein Schüler bist du zugleich: mein Lehrer an Weisheit, mein
Schüler an Gehorsam“. Beiläufig sei hier angemerkt, daß Rabban Gamliel, wie
wir bei dieser Gelegenheit erfahren, bereits ein Werkzeug zu genauer Beobachtung
des Mondumlaufs und Wandtafeln mit Abbildungen der Mondphasen besaß.
Bald aber kam er zur Erkenntnis, daß er in seinem Eifer zu weit
gegangen sei und bemühte sich, die Verzeihung der Gelehrten zu er-
langen. Er suchte den mehrfach von ihm gekränkten R. Josua in seiner
armseligen Wohnung auf und fand ihn gerade mit seinem rußigen
Handwerk, der Anfertigung von Nadeln und Nägeln, beschäftigt.
Rabbi Josua hielt es nämlich, wie alle seine Genossen im Lehr-
ami vor und nach seiner Zeit, für unerlaubt und sschimpflich, um baren
Gewinnes willen als Lehrer und Richter tätig zu sein. Es galt
vielmehr als religiöse Gewissenspflicht, der Gesamtheit Dienste für
das Lehrhaus und für den Gerichtshof nur im Ehrenamte zu leisten.
Darum wählte jeder Gelehrte zu seinem Lebensunterhalt eine Kunst oder
ein Gewerbe, dem er mit Fleiß und Hingebung oblag !), und nur in
1) Vgl. T. I, S. 76.