Full text: Von der Zerstörung des zweiten Tempels bis zum Ende des Gaonats (Teil 2, [Schülerband])

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fort und war bestrebt, dem Synhedrium die religiöse Oberleitung des 
Judentums zu sichern. 
Er wollte dabei keineswegs die freie Meinungsäußerung beschränken 
oder gar behindern. Nur darauf war sein Augenmerk gerichtet, daß, 
je unbeschränkter die Freiheit des Denkens, Forschens und Lehrens 
blieb, desto strenger und eifriger auf gleichmäßige Einheit in der Aus- 
führung des Gesetzes gehalten wurde. Wer der einmal getroffenen 
Entscheidung entgegen zu handeln wagte, sette sich der verdienten 
Strafe für die Auflehnung gegen die höchste religiöse Behörde aus. 
Ja Rabban Gamiliel hielt sogar dann mit eiserner Unbeugsamkeit an 
diesem Grundsatz fest, wenn gegen einen rechtmäßig zustande gekommenen 
Beschluß nachträglich noch so gewichtige Gründe, sselbst von sonst aner- 
kannter Gelehrten, vorgetragen wurden. 
Sein Konflikt mit R. Josua. Einst war unter Rabban Gamliels Vorsitz 
der Neumond des Tischri auf einen bestimmten Tag festgesett worden, als hinterher 
der hochangesehene Rabbi Josua, einer der fügsamsten und bescheidensten Schüler 
Rabban Jochanans, begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit des vorangegangenen 
HZeugenverhörs auszusprechen wagte. Trotzdem beharrte der Patriarch bei dem einmal 
gefaßten Beschlusse und befahl dem allgemein beliebten Gegner, in werktäglichem 
Reisekleide mit dem Geldbeutel in der Hand an demjenigen Tage vor ihm zu er- 
scheinen, der nach seiner, Rabbi Josuas, abweichender Rechnung der Versöhnungs- 
tag hätte sein sollen. Heftig sträubte sich der Weise, dem Begehren nachzukommen, 
bis seine geseßeskundigen Freunde ihn von der Notwendigkeit überzeugten, daß jeder 
Einzelne sich unbedingt den einmal getroffenen Entscheidungen unterwerfen müsse. 
Das sah Rabbi Josua ein und gehorchte Rabban Gamliels Befehle. Als er bei 
ihm eintrat, umarmte der Patriarch den Nahenden mit den Worten: „Wahrlich, 
mein Lehrer und mein Schüler bist du zugleich: mein Lehrer an Weisheit, mein 
Schüler an Gehorsam“. Beiläufig sei hier angemerkt, daß Rabban Gamliel, wie 
wir bei dieser Gelegenheit erfahren, bereits ein Werkzeug zu genauer Beobachtung 
des Mondumlaufs und Wandtafeln mit Abbildungen der Mondphasen besaß. 
Bald aber kam er zur Erkenntnis, daß er in seinem Eifer zu weit 
gegangen sei und bemühte sich, die Verzeihung der Gelehrten zu er- 
langen. Er suchte den mehrfach von ihm gekränkten R. Josua in seiner 
armseligen Wohnung auf und fand ihn gerade mit seinem rußigen 
Handwerk, der Anfertigung von Nadeln und Nägeln, beschäftigt. 
Rabbi Josua hielt es nämlich, wie alle seine Genossen im Lehr- 
ami vor und nach seiner Zeit, für unerlaubt und sschimpflich, um baren 
Gewinnes willen als Lehrer und Richter tätig zu sein. Es galt 
vielmehr als religiöse Gewissenspflicht, der Gesamtheit Dienste für 
das Lehrhaus und für den Gerichtshof nur im Ehrenamte zu leisten. 
Darum wählte jeder Gelehrte zu seinem Lebensunterhalt eine Kunst oder 
ein Gewerbe, dem er mit Fleiß und Hingebung oblag !), und nur in 
1) Vgl. T. I, S. 76.
	        
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