Full text: Von der Zerstörung des zweiten Tempels bis zum Ende des Gaonats (Teil 2, [Schülerband])

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Israels den lebhaften Drang, alle Geistesschätze, die sie besaßen, zu 
sammeln, um sie aus dem drohenden Umsturz zu retten. Sie trugen 
fleißig nnd eifrig alles zusammen, was in den letzten Jahrhunderten 
aus der Mischnah geschöpft und im Anschluß daran gelehrt worden 
war. Diese abschließende Deutung des mündlichen Gesetzes nennt man 
Gemara. Die Mischnah und Gemara bilden zusammen den 
Talmud. Über Zahl und Namen der. palästinensischen Sammler sind 
nur unzulängliche Nachrichten auf uns gekommen: ihr in jener Zeit 
vollendetes Werk heißt der jerusalemische Talmud). Er ist ein 
wahrhafter Spiegel der jammervollen Verhältnisse, unter denen er 
entstanden ist. Der gesamte Stoff ist dürftig und lückenhaft, eilig und 
ohne rechte Vertiefung zusammengetragen. Nur selten werden seine Er- 
gebnisse als maßgebend für das praktische Leben angesehen. Der jeru- 
salemische Talmud ist wenig studiert. und spärlich und selten mit fort- 
laufenden Erläuterungen versehen worden. Nahezu vollständig ist nur 
die Gemara zu den ersten vier Ordnungen der Mischnah erhalten, 
die zur fünften Ordnung ist verloren gegangen und die zur sechsten 
überhaupt nur für einen Traktat zusammengestellt worden. 
_ Das Gessetß Theodosius Il. Als der jerusalemische Talmud um 
das Jahr 450 abgeschlossen wurde, gehörten die Juden des heiligen 
Landes zum oströmischen Kaiserreich, das um jene Zeit vom gleichnamigen 
Enkel des großen Theodosius beherrscht wurde. Dieser gutmütige, aber 
sehr beschränkte Fürst stand infolge seiner einseitigen Erziehung dauernd 
unter dem Einfluß des blinden Glaubenseifers seiner geistlichen Lehrer. 
Er wollte der Welt zeigen, wie sich alle Flüche der heiligen Schrift 
an denen erfüllt hätten, die den erschienenen Messias zu leugnen wagten. 
Darum mußten die Juden elend werden, und er trachtete darnach, die 
in den Herzen der getauften Heiden künstlich erweckte Bitterkeit gegen 
das Judentum durch Geseße zu befestigen und den Satz des Apostels: 
„Gott siehet die Person nicht an, sondern in allerlei Volke wer ihn 
fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm ?)“, gerade auf die Nach- 
kommen desjenigen Stammes, dem der Erlöser mit seinen Jüngern ent- 
sprossen war, nicht zur Anwendung kommen zu lassen. Er nahm ihnen 
die bürgerliche Ehre, nicht etwa weil sie sich als schlechte Bürger 
erwiesen hatten, sondern weil sie den Glauben der Mehrheit ihrer Mit- 
bürger nicht teilen mochten. Er beschränkte sie in der freien Ausübung 
der Religion, indem er den Bau neuer Synagogen untersagte. Den 
Besitz ihrer Sklaven erschwerte er ihnen noch mehr als seine Vorgänger 
1) sts; nn. 
?) Apostelgeschichte 10, 34 f.
	        
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