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dache versehen ist, zeigt uns der mit zahlreichen Fenstern gegliederte,
mit Fialen rings umgebene Turm der Auer Kirche in seinem von
Maßwerk durchbrochenen, mit unzähligen Krabben bedeckten und
mit einer mächtigen Kreuzblume bekrönten Helm ein Musterbeispiel
gotischen Turmbaues. — Aber nicht nur in Kirchen versuchte sich
der gotische Stil, er hat auch in Stadtthoren (das Karls-, Jsar-
nnd Sendlingerthor in München) großartigen Schlössern, Rat-
und Gildehäusern bewundernswerte Gebäude hingestellt, die noch
heutzutage zur Nacheiserung anspornen. So ließ die Stadt
München neben ihrem alten gotischen Rathause auch ihr neues in
diesem Stile errichten (Fig. 1, Seite 298). Sein Inneres birgt
den berühmten Ratskeller, die stilvoll durchgeführten prächtigen
Sitzungssäle und Bürgermeisterzimmer, sein Äußeres bildet in seiner
schönen Fassade, besonders in dem reich entwickelten Mittelbau mit
seinen auf Säulen ruhenden Ecktürmen, durchbrochenen Zickzackgie¬
beln, dem reichen Walde von Fialen, Erkern und Dacherkern wie
dem reichen bildnerischen Schmucke nicht nur die schönste Zierde des
Marienplatzes, es gibt auch ein beredtes Zeugnis von dem stolzen
Selbstbewußtsein, dem Wohlstand und dem Kunstsinn des mächtig
emporstrebenden Münchener Gemeindewesens.
7. Die Stile der Drnaijsance.
Während man in Deutschland und in den nordischen Landen
noch bis tief ins 16. Jahrhundert im gotischen Stile baute, erlebte
der römische (antike) Baustil schon in der Mitte des 15. Jahrhun¬
derts in Italien, wo die römische Kunst nie ganz verdrängt worden
war, eine Wiedergeburt, d. h. Renaissance (sprich Renässanss),
indem man daselbst die antiken Bauglieder und Konstruktionen zur
Errichtung zeitgemäßer Bauten anwandte. Diese Renaissance, die
bald auch ihren Weg in die übrigen Länder fand und vom 15. bis
19. Jahrhundert herrschte, zerfällt in mehrere Perioden. Die so¬
genannte Frührenaissance knüpft in den nordischen Ländern im
Grundplan und Aufriß noch stark an den gotischen Stil an und sucht
zwischen den bisherigen und den antiken Formen zu vermitteln, ins¬
besondere behält sie die malerische Anlage der Bauten, die hohen
Giebel, Erker und Dacherker, die meistens zu Wendelstiegen benützten
Türme und Gewölbesormen der gotischen Zeit bei und bekleidet
diese Bauten mit den dekorativen Formen der Antike, wobei eben¬
falls gotische Motive sich noch vielfach einmischen. Eines der herr¬
lichsten Denkmale dieses Stiles ist aus deutschem Boden das von
den Franzosen zerstörte Schloß zu Heidelberg, in München
die alten Teile der Residenz, der Turnierhof des Münzge-
bäudes und die herrliche Michaelskirche, außerdem die
Trausnitz bei Landshut, das Schloß zu Asch affen bürg, die
Rathäuser zu Augsburg und Schwein fürt, verschiedene Wohn¬
gebäude in Nürnberg und Rothenburg.