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sie sich der Landessprache des Amharischen. Sie beobachten alle biblischen
Festtage, die Halbfeiertage Chanuka und Purim sind ihnen unbekannt.
Der Gebrauch der Gebetriemen, Schaufäden und das Anbeften geschrie—
bener Bibelstellen an den Thürpfosten sind ihnen ebenfalls fremd. Mit
besonderer Strenge beobachten sie die Reinlichkeitsgesetze des Mosaismus,
weshalb sie auch gerne ihre strohgedeckten Zelte in der Nähe von Bächen
und Flüssen aufschlagen. Nach mosaischer Einrichtnng haben sie auch
ihre Priester, welche den Gottesdienst leiten und die Jugend in der Re⸗
ligion unterrichten. Die Priester werden in ihren geistlichen Funktionen
unterstützt von den Nasiräern, welche das Gelübde der Enthaltsamkeit
und des Cölibats ablegen. Die Falascha's führen eine sehr mäßige Le—
bensweise, genießen nur sehr wenig Fleisch und nähren sich von Hand⸗
werken; besonders sind sie als Maurer und Schmiede sehr gefucht; die
Priester treiben meistens Ackerbau; der Handel erscheint ihnen als eine
niedrige Beschäftigung. Die Sklaverei ist ihnen verhaßt. Sie sind sehr
tapfer im Kriege und haben überhaupt einen biederen Charakter. Sie
besitzen ihre eigene Gerichtsbarkeit und lebten bis in die neueste Zeit in
ruhiger Unabhaͤngigkeit. Erst vor wenigen Jahren wurde durch die Be—
kehrungssucht der Missionäre ihre Lage eine höchst traurige. Kaiser
Theodoros, welcher fruͤher die Missionaͤre, denen er den letzten Krieg
mit den Engländern und in Folge dessen seinen Tod zu verdanken hat,
begünstigte, wollte die Falascha's zum Abfalle von ihrem Glauben zwin⸗
gen, fand aber einen todesmuthigen Widerstand. Sie zogen es vor, die
Heimat zu verlassen, und wanderten schaarenweise aus. Nach langem
uͤmherirren in wüsten Gegenden, der Noth und dem Elende preisgegeben,
kehrten sie in die Heimat wieder zurück. Welchen Einfluß der schnelle
Erfolg der englischen Expedition einerseits, die durch den Pariser Verein
erweckte Theilnahme der europäischen Juden anderseits auf die Lage der
Falascha's üben werde. muß die Zukunft lehren.
145. Sir Moses Montefstore. Adalbert Cremieux.
Man kann die neuere Geschichte der Juden im Allgemeinen und
die der Juden im Oriente in'sbesondere nicht schreiben, ohne zwei be⸗
rühmten jüdischen Zeitgenossen den wohlverdienten Ehrenplatz anzuweisen.
Es sind dies: Sir Moses Montefiore in London und der Advokat Adal⸗
bert Cremieux in Paris. — Moses Montefiore wurde am 24. Oktober
1784 zu London geboren. Einer angesehenen frommen Familie ent⸗
stammend, genoß er eine vorzügliche Erziehung und wurde besonders zu
strenger Religiosität, die noch jetzt sein hohes, ruhmgekröntes Alter schmückt,
angehalten. Er widmete sich dem Geschäftsleben, und gelangte durch die
Guͤnft des Glückes wie durch seine Thätigkeit und Rechtlichkeit zu großen
Reichthümern; doch für Montefiore hatte der Reichthum nur insoferne
Werih, als er ihm die Mittel bot Wohlthätigkeit zu üben und der lei—
denden Menschheit beizustehen. Im Jahre 1812 heiratete er eine Jung⸗
frau von seltenem Seelenadel, Judith Cohn, eine Verwandte der Familie
Rothschild, und in seiner Gattin fand er eine eifrige und treue Gehilfin
bei den Werken der Liebe und Mildthätigkeit, die sein Leben ausfüllten.
Seine großen Verdienste erwarben ihm die Verehrung seiner Mitbürger,