Metadata: Für die Präparandenanstalt (Teil 1, [Schülerband])

Prosa für die Präparandenanstalt. 
A. Erzählungen. 
1. Die Schmachschrift. 
Von L. p. Hebel. 
„Erzählungen des Rheinischen Hausfreundes." Karlsruhe 1832. 
Als bekanntlich ein Pasquill oder eine Schmachschrift auf den König 
Friedrich in Berlin an einem öffentlichen Platze angeheftet wurde und sein 
Kammerdiener ihm davon Anzeige machte, — „Jhro Majestät," sagte der 
Kammerdiener, „es ist Ihnen heute nacht eine Ehre widerfahren, das und 
das. Alles hab' ich nicht lesen können; denn die Schrift hängt zu hoch. 
Aber was ich gelesen habe, ist nichts Gutes"; — da sagte der König: „Ich 
befehle, daß man die Schrift tiefer hinabhänge und eine Schildwache dazu 
stelle, auf daß jedermann lesen kann, was es für ungezogene Leute gibt." 
Nach der Hand geschah nichts mehr. 
Nicht ebenso dachte der Amtsschreiber von Brassenheim; denn Brassen¬ 
heim ist ein Amtsstädtlein. Als ihm eines Morgens ein Pasquill ins 
Haus gebracht wurde, das jemand mit Teig in der Nacht an die Haus¬ 
tür geklebt hatte, wurde er ganz erbost und ungebärdig, fluchte wie ein 
Türke im Hause herum und schlug der unschuldigen Katze ein Bein entzwei. 
Als das die losen Vögel erfuhren, welche die Schandschrift angeklebt hatten, 
daß der Herr Amtsschreiber also im Harnisch sei, hatten sie ihre große 
Freude daran und sagten: „Heute nacht tun wir's wieder." Den zweiten 
Morgen, als ihm die zweite Schandschrift gebracht wurde und ein Rezept 
für lahm geschlagene Katzen darin, ward er noch viel wütender und warf 
Tische und Stühle zusammen, ja er schrieb mit eigener Hand einen zornigen 
Bericht darüber an den regierenden Grafen, ob er gleich niemand nennen 
konnte, und als er ihn geschrieben hatte und den Sand darauf streuen 
wollte, ergriff er in der Hitze statt der Sandbüchse das Tintenfaß und 
goß die Tinte über den Bericht und über die weißtuchenen Amtshosen. 
Am Abend aber sagte er zu seinem Bedienten: „Hansstoffel," sagte er, 
„vigiliere heute nacht um das Haus herum, bis der Hahn kräht, und wenn 
du den Kujonen attrappierst, so bekommst du einen großen Taler Fanggeld. 
Ich will sehen," sagte er, „ob ich mir soll ans der Nase herumtanzen lassen." 
Etwas nach elf Uhr kam der Stoffel von seinem Posten herauf, und 
der Herr Amtsschreiber war auch noch auf, auf daß, wenn der Stoffel den 
Pasquillenmacher brächte, er ihn gleich auf frischer Tat erstechen könnte. 
„Herr Amtsschreiber," sagte der Stoffel, „ich will nur melden, daß heute 
nacht nichts passiert ist, wenn Sie mir erlauben, jetzt ins Bett zu gehen. 
Alle Lichter im Städtlein sind ausgelöscht, die Wirtshäuser sind leer, die 
zwei letzten sind nach Hause gegangen, und des Wagner Mattheisen-Hahn 
Tomu scha t, Deutsches Lesebuch für Lehrerbildungsanstalten. I. Teil. t. Abtlg. 1
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.