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war. Traf der Bann einen Regenten, so war er für abgesetzt erklärt und
die Unterthanen durften ihm nicht länger gehorchen. Wer dem Gebannten
anhing oder ihn schützte, verfiel in dieselben Strafen. Wurde der Kirchen¬
bann auf ein ganzes Land ausgedehnt, so hieß er Interdikt. Während
der Dauer des Jnterdicts hörten alle kirchlichen Handlungen auf, nur mit
Ausnahme der Taufe. Keine Glocke durfte geläutet und das Abendmahl
selbst den Sterbenden nicht gereicht werden; die Beerdigungen mußten ohne
kirchliche Gebräuche vollzogen, aller Kirchenschmuck verhüllt oder entfernt
werden. Ein ganzes Gebiet mußte dann für irgend einen in feiner Mitte
begangenen oder geduldeten Frevel büßen, und selten vermochte das Volk
diesen drückenden Zustand lange zu ertragen.
Derjenige Papst, welcher das Papstthum zum denkbar höchsten Gipfel
der Macht und des Glanzes brachte, war Jnnocenz 111. aus dem erlauch¬
ten römischen Hause der Conti, ein geistvoller und willensgewaltiger Mann,
der, gebildet auf den Hochschulen zu Rom, Paris und Bologna, noch im
kräftigen Mannesalter zum Haupte der Kirche erhoben wurde und dieselbe
von 1198—1216 regierte. Als Gottes- und Rechtsgelehrter einer der
ersten seiner Zeit, stand er an Frömmigkeit, sittlichem Ernst, an Begeiste¬
rung und Hingebung für die Kirche im Sinne des Papstthums einem
Gregor VH. nicht nach, an Gelehrsamkeit, Scharfblick und Gewandtheit
ihn noch übertreffend. Als das sichtbare Oberhaupt der Christenheit griff
er in alle Staaten Europas, ja bis nach Konstantinopel hin, ordnend und
richtend ein. In seinem Leben streng, war er ein Rächer jeglichen Un¬
rechts, ein Vater der Wittwen und Waisen und als Stellvertreter des höch¬
sten Versöhners, oft ein Vermittler des Friedens zwischen Völkern und
Fürsten. Selbst arm und einfach lebend, sammelte er ungeheure Schätze
zur Verwirklichung seiner geistlichen Weltherrschaft, wobei er seinen Ruhm
freilich arg befleckte durch fein unchristliches und unmenschliches Verfahren
gegen die s. g. Ketzer. Wie wir in der Geschichte des Hohenstaufen Kaiser
Friedrich's II. sehen werden, trachtete Jnnocenz III. vor Allem dahin, den
päpstlichen Stuhl durch Befestigung des Kirchenstaats, durch Befreiung Ita¬
liens von ausländischer Herrschaft und Trennung Neapels und Sieiliens
von Deutschland politisch unabhängig zu machen. Nächftdem waren die
Rettung der Kirche im Morgenlande, die Bevormundung des christlichen
Staatenvereins, die Ausrottung der Ketzer und die strenge Ordnung der
Kirche die Hauptgedanken seines Lebens. Davon ist ihm auch Vieles ge¬
lungen, und Dicht hat noch einmal durch ihn die gebildete Welt beherrscht.
Vor ihm, der den Thron der Deutschen nach Gutdünken besetzte, neigten
sich, wenn auch noch so unwillig, alle königlichen Häupter: einen König,
Alphons IX. von Leon, zwang er durch Bann lind Interdikt, seine
gesetzwidrige Ehe mit seiner Nichte aufzulösen; Philipp August von
Frankreich mußte seine verstoßene Gemahlin Jngeburgis, die Schwester des
Dänenkönigs Kanut, wieder annehmen; die Könige Peter II. von Ara-
gonien und Johann von England erklärten ihre Reiche für zinsbare
Lehen des römischen Stuhls. Am Ende seiner Tage, im Rückblick auf das
glorreiche Werk seines Lebens, versammelte Jnnocenz III. um sich die Re¬
präsentanten der Christenheit auf der glänzenden vierten Lateransynode
(der zwölften ökumenischen 1215), wo die Gesandten fast aller christlichen