Full text: Erzählungen aus der Geschichte alter und neuer Zeit

Cölibat. 
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Diese Überreichung des Ringes und Stabes als der Ehrenzeichen des 
Bischofsamtes nannte man Investitur. Seit Jahrhunderten war 
die Investitur in Deutschland von den Fürsten ausgeübt worden, aber 
Gregor VII. erklärte: dies sei ein Eingriff in die geistliche Gewalt, der 
durchaus müsse abgestellt werden; fortan solle kein Abt und kein Bi¬ 
schof es wagen, von einem weltlichen Herrn Ring und Stab zu neh¬ 
men; wer es thue, der solle im Banne sein; ferner solle kein weltlicher 
Herr, wer er auch sei, einen Bischof oder Abt mit Ring und Stab 
belehnen, und wer es wage, der solle gleichfalls im Banne sein. Das 
war neue Veranlassung zum Streit zwischen dem Papste und dem 
Kaiser. Setzte Gregor VII. dieses Gesetz durch, so war damit für Aus¬ 
führung seines Planes, die weltlichen Herren dem Oberherrn der Geist¬ 
lichen unterzuordnen, die Bahn gebrochen. 
§ 89. Noch eine dritte kirchliche Einrichtung ergriff Gregor, um 
seine Plane auszuführen. Seit Jahrhunderten war überall dem Mönchs¬ 
leben hohe Achtung zu Theil geworden. Darum schien es etwas Leich¬ 
tes, unter dem Volke den Glauben zu gründen, daß sich der Stand 
der Geistlichen, wie die Mönche in den Klöstern, zur Ehelosigkeit ver¬ 
pflichten müsse. In der That schätzten auch viele, nach der herrschen¬ 
den Ansichtsweise jener Zeit, die unverehelichten Geistlichen höher, als 
verheirathete; aber es war weder ein Gesetz vorhanden, noch war es 
durch das Herkommen als nothwendig betrachtet worden, daß ein Prie¬ 
ster ehelos oder im Cölibat, wie man dies nennt, lebe. Gregor VII. 
befahl nun: Von jetzt an solle kein Geistlicher mehr heirathen; wer die¬ 
ses Gesetz übertrete, der solle aus der Kirche gestoßen werden; gleiche 
Strafe solle auch einen Jeden treffen, der von einem verheicatheten 
Priester das Sakrament empfange oder bei ihm Messe höre; ja es 
wurde sogar von den verheicatheten Geistlichen gefordert, ihre Frauen 
zu entlassen. Wahrlich, kaum kann ein kühneres Unterfangen gegen 
göttliches Gebot und gegen die Einrichtungen des Staats gedacht wer¬ 
den, als dieser päpstliche Machtspruch. Gott selbst hat die Ehe einge¬ 
setzt; die christliche Kirche betrachtete die Ehe als ein Sakrament; seit 
dem Bestehen des Christenthums hatte es verheirathete Geistliche gege¬ 
ben; unter den Aposteln war selbst Petrus verheirathet und Paulus 
sagt von sich, daß er Macht habe zu heirathen; ja er fordert ausdrück¬ 
lich: der Bischof soll sein Eines Weibes Mann und ein Diener (oder 
Diakonus, d. h. niederer Kirchenbeamter) soll sein Eines Weibes Mann 
(1. Tim. 3, 2. 12). Dieses ausdrückliche Wort der heiligen Schrift 
trat Papst Gregor unter seine Füße und an die Stelle der apostolischen 
Vorschrift kam nun das päpstliche Gesetz: der Bischof und der Diako¬ 
nus soll sein keines Weibes Mann. Ferner: die Geistlichen, welche
	        
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