2. Diphthonge. Im XII. Jahrh. begann eine neue Lautbewegung,
die darin bestand, daß die Laute „i, ü und iu“ (langes ü) in „ei, au (ou)
and eu (öu)“ auseinandergezogen wurden. Aus min, vül, hiute wurde mein,
faul, heute. (Vgl. Weise, a. a. O., S. 15 oder auch K. A. Hahn, a. a. O.,
$ 13 und 14.)
3. Alte Kasusendungen liegen vor in Verbindungen wie (Genetiv) :
Märzenschnee, Herzogenburg, Mondenschein, Schwanenhals, Erdensohn,
Gassenbub, Harfenton, Sonnenlicht. (Behaghel, a. a. O., S. 226.) Auch
Sprichwörter haben im Reim alte Formeln erhalten: Wie die Alten sungen,
so zwitschern die Jungen. Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch
an die Sonnen. Wo Gott geit (== gibt), schadet kein Neid u. s. w. (Vgl.
Weise, Ästhetik, S. 276.)
4. Alte Fürwortformen: mhd. däs, ws, der, den (für nhd. dessen,
wessen, deren, denen) sind erhalten in deshalb, weshalb; wes Brot ich esse,
des Lied ich singe. (Behaghel, a, a. O., S. 235.)
5. Wortbildung. (Behaghel, S. 306.) Allenthalben = allen halben
(= Seiten; also Dativ des Plurals); sintemal = sint dem Male (== seit
der Zeit); zwar = ze wäre == in Wahrheit; nichts ist Genetiv des mhd.
Subst. nichtes. (B., a. a. O., S. 319.) Adler = adelar, Grummet = gruon
mat (= grün gemäht), Nachbar = nahgebüre (d. i. der in der Nähe
Wohnende), Wimper == wintbrä = die sich wendende, sich auf und ab
bewegende Braue.
6. Überbleibsel des Sprachgebrauches im Mhd., das Attribut in den
starken Formen auch dann zu verwenden, wenn es nachgestellt war,
liegen vor in „ein Topf voller Kirschen“ (hier ist „voller“ Genetiv von
„voll“). Andere Überbleibsel : gut Freund sein; lieb Kind sein (ein guot
kint); gut Ding braucht Weil; unrecht Gut gedeiht nicht. (Behaghel, a.
a. O., S. 322.)
7. Orthographisches. Warum heißt es selbständig? Weil das
Pronomen „selber“ mhd. selp (Genet. selbes) hieß, (B., a. a. 0., 236.) Durch
die Einführung des Buchdruckes (siehe dort!) wurde unsere Rechtschreibung
im wesentlichen so festgestellt, wie sie bis auf den heutigen Tag geblieben
ist. Doch in den lautlichen Verhältnissen hat sich viel geändert; dh. die
Verwirrung: Widerspruch zwischen Laut und Zeichen: z.B. in
lieb, Dieb wurde früher das e wirklich ausgesprochen. (Vgl. die Mundart.)
Stahl, Bühl u. s.w. lauteten stahel, bühel u. s. w. mit deutlich klingendem h.
Doppelschreibung der Konsonanten (tt, mm, nn u. s. w.). Im Mhd. gab
es wirklich Doppelkonsonanten oder eigentlich lang gesprochene Konso-
nanten. Beim Übergange vom Mhd. zum Nhd. wurden fast alle kurzen
Vokale, welche vor einfachen Konsonanten standen, gedehnt, die Vokale
vor Doppelkonsonanz bewahrten ihre Kürze. Die Doppelkonsonanz wurde
in der Aussprache vereinfacht, blieb aber in der Schrift bestehen. (Behaghel,
a, a. O., S. 197 u. ff)