6 Erste Abteilung. Erster Abschnitt. Erstes Kapitel.
Erster Abschnitt.
Aückblick aus das Mtertum.
I. Deutsche Stammesgeschichte.
(Das germanische Altertum; die Germanen in der Zerstreuung).
Erstes Kapitel: Die Germanen bor der Völkerwanderung.
1. Deutsches Volkstum in der Urzeit.
Ursprung, Name und Wohnsitze der Germanen, Vereinzelung der Stämme.
§ 4. Drei große Völkergruppen, der arischen oder indo-germanischen
Völkerfamilie angehörig, haben wie drei große Völkerwellen vom inneren
Hochasien, der Völkerquelle, her in vorhistorischer Zeit sich über Europa
ergossen. In drei großen Wanderzügen sind Kelten, Germanen und
Slawen zu verschiedenen Zeiten einander gefolgt und haben neben einander
in der Richtung der größten Ausdehnung Europas von Ost nach West
den Erdteil erfüllt, nachdem schon früher die stammverwandte griechisch-
italische Völkergruppe die südlichen Halbinseln besetzt hatte. Von den
waldreichen deutschen Mittelgebirgen bis zu den Gestaden der Nord-
und Ostsee wohnten in der Urzeit die germanischen Völkerschaften.
Durch das Meer waren sie von den verwandten skandinavischen Stämmen
getrennt; im Süden der Main- und Neckargegenden wohnten noch Kelten,
welche auch im Westen des Rheinstroms die Nachbarn der Germanen
waren; in den weiten Ebenen der Weichsel grenzten sie in späterer Zeit
an die ihnen nachdrängenden Slawen. Viel gespalten wie das mannig-
saltig gestaltete und gegliederte Land, das sie bewohnten, waren im An-
sänge diese Stämme. Wenn_ sie auch Sagen erzählten von gemeinsamer
Abstammung, wenn auch ihre Ähnlichkeit in Körperbildung, Geist, Sprache,
Charakter und Sitte ihnen nicht entging, so gab es doch kein noch so
loses äußeres Band staatlicher Gemeinschaft, das sie alle um-
schlungen hätte. Sie hatten nicht einmal einen gemeinschaftlichen Namen,
sondern erst ein Jahrtausend nach dem Erscheinen derselben in der Geschichte,
nach der Auslösung des großen Frankenreichs, tritt der Name „Deutsche"
hervor. Derselbe bezeichnete diejenigen Germanen, die sich nnvermischt mit
Römern und Kelten gehalten hatten, und ist hergenommen von der in
ursprünglicher Eigenart bewahrten Sprache des in den heimischen Wohn-
sitzen verbliebenen Volkes. Sie wurde diutisc genannt, d. i. deutische,
von diot — Volk, im Gegensatze zu der lateinischen Sprache der Kirche
und Wissenschaft und zu der durch das Römische und Keltische veränderten
Mischsprache der in die Fremde gewanderten Stammesgenossen, die walisc,
d. h. fremd, wälfch hieß. Auch mit der älteren Bezeichnung „Germanen"
benannten sie sich nicht selbst; sie erhielten dieselbe seit Eäsars Zeit,
wahrscheinlich von den niederrheinischen Kelten, von welchen sie dadurch