Full text: Lehrbuch der Geschichte des Mittelalters

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Tulun in Cairo) der früheren Periode vor. Er wurde aus dem Oriente 
nach Sicilien durch die Normannen übertragen. Unter normännischem 
Einfiusse erhielt der Spitzbogen erst seine konstruktive Bedeutung 
in einem besonderen (dem gothischen) Stile im nördlichen Frank- 
reich und verbreitete sich von dort nach England und Deutschland. 
Im Gegensatze zu dem massigen, durch runde Bögen und horizontale 
gerade Linien gekennzeichneten romanischen Stile herscht im 
Spitzbogenstile die senkrechte Linie vor, weshalb die Bauten dieses 
Stiles durch größere Höhe und Schlankheit sich auszeichnen. Die 
wesentlichsten Merkmale desselben sind das Kreuzgewölbe und 
die Bündelpfeiler. 
Durch Anwendung des Kreuzgewölbes wurde die Deckenfläche in eine 
Anzahl von Rechtecken geteilt, welche durch Gurten, die in spitzen Bögen 
aufstiegen und in einem Schlusssteine zusammenliefen, in ein Gerippe von 
steil aufsteigenden krummen Linien verwandelt wurden, zwischen denen nur 
schmale Flächen als bloße Füllungen erschienen. Als Träger dieser Gurten 
dienten Pfeiler. Diese bestehen aus einem Komplexe von senkrechten größeren 
(alten) und kleineren (jungen) Rundstäben (Diensten), zwischen denen Hohl- 
kehlen laufen. An den Rundstäben wurden da, wo die Gewölbgurten auflagen, 
Kapitäle mit leichtem Laubwerk angebracht. Es erhielten auf diese Weise 
solche Pfeiler das Aussehen eines Bündels von Säulen, das sich an einen 
innern Kern anschloss (Bündelpfeiler). Da die Pfeiler das Gewölbe trugen, 
so erschienen die Wände als ein unwesentlicher Bestandteil. Sie bildeten 
bloß die Füllungen zwischen den Pfeilern. Deshalb wurden sie zumeist durch 
große Fenster ausgefüllt, welche in ihrer Konstruktion sich den Motiven des 
Kreuzgewölbes anschlossen und durch schlanke Pfeiler in mehrere Teile ge- 
gliedert, nach oben in ein System von Spitzbögen, Kreisen und Segmenten 
(dem sogenannten Maßwerke) ausliefen. — In dem Grundrisse trat eine 
wesentliche Änderung ein. Die Kreuzesform blieb bestehen, doch wurde der 
Chor verlängert und mit einem polygonalen Bau, welcher den Kreuzwölbungen 
antsprach, abgeschlossen. Zugleich wurde die Krypta beseitigt und der Chor 
nur durch eine geringe Erhöhung, oft nur durch ein Gitter vom Langschiffe 
geschieden. Die Seitenschiffe wurden vermehrt und häufig durch Kapellen er- 
weitert. Sie wurden auch oft um den Chor als Umgang fortgeführt. — Das 
Äußere der gothischen Kirchen ist gekennzeichnet durch Strebepfeiler 
und Strebebögen. Ersteres sind in Absätzen aufsteigende, den Gewölbgurten 
im Innern als Widerlagen entsprechende Pfeiler, die bis zum Dachgesimse 
aufgeführt und häufig mit einer reichgeschmückten Spitzsäule (Fiale) ab- 
geschlossen wurden. Von den Strebepfeilern giengen dann Strebebögen zu 
der Oberwand des Hauptschiffes. Auch an den Wänden wurden über den 
Spitzbögen der Fenster Spitzgiebel (Wimperge) angebracht, die über das 
oft mit einer Gallerie gekrönte Dachgesimse ragten. Wegen der Menge von 
Pfeilern und sie verbindenden und +überdeckenden Bögen erscheint in den 
gothischen Bauten die Masse förmlich aufgelöst und zersetzt. Deshalb wurde 
es nötig, diesen Pfeilerwald durch größere Flächen zu begränzen. Dies ge- 
schah durch die Facaden sowol an den Seiten des Quer-, als auch am
	        
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