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VIIL Josef IT. (1765 — 1790) und Leopold II. (1790—1792),
1. Josefs II. Persönlichkeit.
Beim Tode Maria Theresias befanden sich die österreichischen Länder,
jeren Regierung jetzt Josef IL. (Fig. 21) übernahm, in einem sehr guten
Zustande. Das Beispiel seiner Mutter, die gute Erziehung, die sie ihm hatte
zu teil werden lassen, und das Studium hervorragender Schriftsteller seiner
Zeit hatten in dem Kaiser eine edle, menschenfreundliche Gesinnung geweckt
and befestigt. Im J. 1777 besuchte er Frankreich, in dessen Einrichtungen
und Anstalten er genaue Einsicht gewann. Auf den vielen Reisen, die er
in seine Provinzen machte, lernte
er auch die Zustände und Bedürf-
nisse seiner Völker kennen. Josef II.
unternahm seine Reisen nicht mit
kaiserlichem Prunke, sondern als
schlichter Privatmann, meist als
„Graf von Falkenstein‘‘. Die zahl-
reichen Wohltaten, die er allent-
halben erwies, die vielen Beweise
seiner Gerechtigkeitsliebe und
seines Edelsinnes gewannen ihm
die Licbe seiner Untertanen. Auf
einer Reise durch Mähren verließ
ar einst bei einem Dorfe in der
Nähe von Brünn seinen Wagen,
trat an einen ackernden Bauer
heran und zog mit dem Pfluge
eine Furche, An der Stelle, wo der
Kaiser der Arbeit des Landman-
nes in dieser Weise seine Achtung
bezeigte, steht zur Erinnerung
daran ein Denkmal. Vor allen
lernten die Bewohner der Hauptstadt Josefs II. Güte kennen. Täglich erschien
ar mehrmals in dem sogenannten Kontrollorgange in der Hofburg, um Bitt-
schriften entgegenzunehmen. Der Gang war jedesmal mit vielen Bittstellern,
zumal aus den unteren Volksklassen, gefüllt. Und Josef II. half, wo er
helfen konnte. Der Wohltäter der ganzen Stadt Wien wurde er dadurch,
daß er den kaiserlichen Augarten und den Prater zur allgemeinen Benutzung
öffnete. „Es gibt keinen schöneren Beinamen,“ sagte er einmal, „als den,
Vater seines Volkes zu heißen.‘