216 Kap. 61. § 231. Ausbildung der Wissenschaft in Deutschland. 
Charakterschilderung und Sprache, ein aus der Gesinnung und den Leidenschaften 
psychologisch entwickelter Fortschritt der Handlung als unübertreffliche Vorzüge geltend 
machen. Nach ihm ist nur noch Milton, der Dichter des „verlornen Paradieses", zu 
nennen (f 1674). 
Die deutsche Poesie wurde im sechzehnten Jahrhundert durch die despotische Herr¬ 
schaft der auf die altklassische Litteratur zurückgegangenen Schulgelehrsamkeit unterdrückt 
und das Bewußtsein der alt-nationalen Litteratur war ganz erloschen. 
Nur die Satire fand in dieser Zeit der größten Gegensätze und Widersprüche, in 
welcher altes und neues hart an einander stießen, ein reiches Feld. Die bedeutendsten 
Satiriker sind außer Sebast. Brant in seinem „Narrenschiff", Thomas Murner 
in seiner „Schelmenzunst" re. und Johann Uischart in seiner originellen Umarbeitung 
des französischen „Gargantua und Pantagruel"; aus dem siebzehnten Jahrhundert 
Moscherosch (in seinem Philander von Sittewalt), Schuppe u. A. — Neue Keime 
einer bessern Lyrik enthielt das aufkommende evangelische Kirchenlied mit seinen rhyth- 
misch-lebendigen Melodien (Luther, Erasm. Alberus, Paul Speratus); im übri¬ 
gen aber bestand die deutsche Poesie dieser Zeit nur aus geschmacklosen Reimereien. 
Im siebzehnten Jahrhundert, und zwar von 1624 an, begann durch die erste schle¬ 
sische Dichterschule, welche Martin Opiz (f 1639) begründete, eine neue Epoche, 
aus welcher der mehr selbständige Paul Flemming (+ 1640) und der mehr rück¬ 
sichtlich seiner Lustspiele zu beachtende Gryphius zu nennen sind. Unabhängig von 
einer Schule steht protestantischerseits Paul Gerhard, dessen Lieder ein Ehrenschmuck 
der evangelischen Kirche sind, katholischerseits der innige Friedrich von Spee durch 
seine „Trutznachtigall", und der sinnvolle Angelus Silesius (eigentlich I. Schcsfler, 
ein Convertit). Allein die deutsche Dichtersprache, welche durch diese Dichter wieder 
einen höheren Schwung genommen hatte, entartete batd wieder in der zweiten schle¬ 
sischen Dichterschule durch geschmacklose Nachäffung des französischen, selbst nur aus 
Nachahmungen bestehenden Unwesens. 
_ Die deutsche Prosa wurde vorzugsweise durch Martin Luther begründet; durch 
seine Bibelübersetzung sowohl wie durch seine zahlreichen didaktischen Schriften hat er 
sich um die Ausbildung der deutschen Sprache das größte Verdienst erworben. Er ist 
der Schöpfer der neuhochdeutschen Prosa. 
(231.) Die Wissenschaft erhielt besonders im protestantischen Deutsch¬ 
land in den seit Einführung des klassischen Altertums teils nach Melanch- 
thons Plan zu Nürnberg, Augsburg zc. teils nach Joh. Sturms 
Plan in Straßburg und andern rheinischen Städten eingerichteten huma¬ 
nistischen Schulen, sowie auf den Universitäten zu Prag, Leipzig, Jena, 
Erfurt, Tübingen, Heidelberg, Marburg, Helmstädt ihre weitere 
und tiefere Ausbildung. Einer eifrigen Pflege erfreute sie sich auch in 
Italien, in den Niederlanden, in Frankreich und (seit Elisabet) in 
England. Auf dem Gebiete des Unterrichts und der Erziehung waren 
auch die Jesuiten für ihre Zwecke sehr thätig. 
Was die einzelnen Wissenschaften betrifft, so leuchten aus dieser Periode fol¬ 
gende große Namen hervor: 
In der Astronomie, Mathematik und Physik: Copernicus aus Thorn 
(f 1543) durch das nach ihm benannte Weltsystem; der Däne Tycho de Brahe 
(+ 1601); der Württembergs Ioh. Kepler (+ 1630) durch seine Sonnentafeln und 
seine Weltharmonie; Galilei aus Pisa (f 1642) durch seine Entdeckung der Gesetze 
des Pendels und des Falls (sowie durch sein trauriges Schicksal, indem er wegen seiner 
Ansicht über die Bewegung der Erde in den Kerkern der Inquisition schmachten und 
jene Ansicht abschwören mußte); sein Schüler Toricelli durch die Erfindung des 
Barometers; — durch die Erfindung der Luftpumpe Otto von Guerike in Magde¬ 
burg; — 
In der Arznei- und Naturkunde der Helvetier Theophrastus Paracelsus 
(t 1541) und Konrad Geßner (f 1565), der Deutsche Georg Agricola; die 
Italiener Cardanus und Vesal; der Engländer Harvey, der Entdecker des Blutum¬ 
laufs (f 1619); — in der Sprach- und Altertumskunde: in Deutschland Hiero¬ 
nymus Wolf zu Augsburg, Ioh. Sturm in Straßburg; Joachim Camerarius in
	        
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