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Landsleute, aber Landsleute geringerer, nachgeahmter Art, die ihn als
ein höheres Wesen bewunderten und sich nach ihm zu richten suchten,
aus die er mit wohlwollender Geringschätzung herabzusehen sich erlauben
durfte. Jeder französische Abenteurer war hoch willkommen und sah sich
bald über die wackersteu Landeskinder geehrt, vorgezogen und mit Ehren
und einträglichen Aemtern bedacht. Dadurch gewöhnten die Franzosen
sich an die Herrschast; wo sie auftraten, waren sie der Mittelpunkt jedes
Kreises; ihre Sprache redete man, ihre Ideen hörten sie aus dem Munde
der Fremden, ihre Schriftsteller bewunderte man, ihre Sitten ahmte man
nach, ihr Volk betrachtete man als das erste der Welt — kein Wunder»
daß sie sich selbst als deren geborene Herren und Leiter ansahen.
Paris aber und Versailles, die Hauptstadt des Staates, erschienen
als die Mittelpunkte der Welt. Von hier aus ertönten nicht nur die
Befehle des großeu Königs, von denen man ängstlich das Schicksal jedes
Reiches, das Wohl und Wehe aller Volker erwartete, die über Krieg
und Frieden bestimmten: sondern von hier ans ergingen auch über das
bewundernde Europa die Geisteswerke, welche das Entzücken des deutschen
Gelehrten wie des englischen Landedelmannes, des italienischen Abbate
wie des holländischen Großhändlers waren, und die in der Taschen¬
bibliothek des Kapitäns über den Ozean nach den beiden Indien wanderten.
Von hier aus erflossen die Gesetze der Mode, des Anstandes, des guten
Tones, ewig wechselnd und doch streng und tyrannisch und von den
Fremden säst noch gehorsamer befolgt, als die Vorschriften des Halbgottes
von Versailles. Der junge Mann ans guter Familie, der seine Bildung
vollenden wollte, mußte ein Jahr in Paris verweilen, um in der
Hauptstadt des feinen Geschmackes dessen Offenbarungen zu empfangen
und dann als begeisterter Apostel des liebenswürdigen und geistvollen
französischen Wesens jener Tage nach der Heimat zurückzukehren. Früher
war man nach Italien gegangen, zu den gewandten Nobili Venedigs,
auf die Universität von Padua oder Bologna, in die milde, höfliche und
poetische Gesellschaft des mediceischen Florenz — jetzt hatte Paris alles
verdrängt. Dazu der strahlende Glanz der französischen Siege, die Be¬
wunderung für die politische Macht Frankreichs, das Staunen vor seinen
unerschöpflichen Hilfsquellen, der märchenhafte Schimmer, der die prächtige
Hofhaltung Ludwigs XIV. mit feinen riesigen Bauten und deren über¬
reichem Bilder- und Statueufchmuck, mit feinen endlosen Parks unb
deren raufchenben Wasserwerken, mit feinen kostbaren Festen unb feiner
schillernden Gesellschaft umgab. Die ganze Welt war von bem allen wie
berauscht; in betn Frankreich jener Tage schienen sich bie Macht unb
Ueppigkeit der Cäsaren Roms mit der geistigen Blüte der schönsten Zeiten
griechischer Bildung und Begabung zu vereinen. Und wie einst ant Schluffe
des Altertums die griechisch^romanische Kultur gleichmäßig alle Völker
vom Euphrat bis zu den Säulen des Herkules und von der Sahara bis
zu der Pikteumauer im fernen Britannien umfaßte — so im Zeitalter
Ludwigs XIV. die französische Kultur das gesamte Abendland. Nie¬
mals hatten die früher obwaltenden Völker, die Deutschen im Mittel-
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