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10. Abendgebet.
Schon schimmert mir der Abendstern, mein Geist erhebt dich,
Gott, den Herrn. Es sank der Sonne goldnes Licht, doch deine
Güte sinket nicht.
Du hast von meiner Jugend auf geleitet meines Lebens Lauf.
Du warst mir nah, wenn von Gefahr ich um und um ge—
dränget war.
Steh ferner mir, mein Vater, bei, daß ich mich noch des
Lebens freu, und wenn ich einst den Abend seh, dir trauend, still
hinunter geh.
So heiter, wie ich jetzt es bin, wall ich dann meinen Weg
dahin, bis schlummerschwer mein Auge sinkt, und mir der Tod
zum Ziele winkt.
11. Das seltene Gericht.
Ein Kaufmann hatte seine Freunde in der Stadt auf sein
Landgut am Meere eingeladen, um fie mit feltenen Meerfischen zu
bewirthen. Es wurden mehrere Speisen aufgetragen, und am Ende
kam eine große verdeckte Schüssel, in der man die seltenen Fische
vermuthete. Allein als man den Deckel abnahm, fanden sich statt
der erwarteten Fische einige Goldstücke darin. Der Kaufmann aber
sprach: meine Freundel die Fische, welche ich euch vorzusetzen ver⸗
sprach, sind in diesem Jahre —
einer ein Goldstück. Da fiel mir denn ein, daß in dem Dorfe ein
Tagelöhner krank liege und mit seinen Kindern Hunger leiden müsse.
Von dem, was dieses einzige Gericht kosten würde, könnten die
armen Leute ein halbes Jahr leben. Wollt ihr nun die Seefische, so
werde ich sie unverzüglich kommen lassen, und sie sollen sogleich
zubereitet werden. Wollet ihr aber das Geld dem armen Manne
uͤberlassen, so werde ich euch mit minder theuern, aber schmackhaften
Flußfischen bewirthen. Alle Gäste gaben ihm Beifall, jeder legte
noch ein Goldstück dazu, und der arme Mann war auf ein ganzes
Jahr aus seiner Noth befreit.
2. Der heschämte Knabe.
Din reicher Enabe aus der Stadt lustwandelte an einem
Fruhlinqstaqe auf einen benachbarten Bauernhof, liess cich für