Full text: Moderne deutsche Dichter

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würdige, in Marderpelz gehüllte Gestalt eines Chorherrn. Das unter 
dem schwarzen Barett blass erscheinende Antlitz heftete sich mit schmerz⸗ 
lichem Ausdruck auf die genässten Schuhe. So wurde er des Armbrusters 
nicht gleich gewahr, der sich rüstig vom Pferde geschwungen hatte, um 
den alten Herrn in bescheidener Stellung und trotz des noch immer 
danernden Gestöbers mit entblößtem Haupte zu erwarten. 
„Gottes und seiner Mutter Gnade zum Gruß, ehrwürdiger Herr,“ 
sagte Hans der Engelländer, als der Greis neben ihm stand. 
Leicht überrascht, heftete dieser das kluge Auge auf den Grüßenden, 
und ein plötzlicher Gedanke leuchtete über seine durchsichtigen Züge, ein 
Gedanke offenbar erfreulicher Art, den er aber listig für sich behielt. 
So sprach ihn denn der Armbruster zuerst und folgendermaßen an: 
„Gestattet, dass ich mich bei Euch erkundige, ob ich den edlen Herrn 
Kuno, Euren würdigen Bruder, im Stifte finden werde. Er schuldet 
mir eine Kleinigkeit für hergestellte Armbrust, ferner den Kaufpreis eines 
nach englischer Manier gebauten Stückes, das vor drei Jahren bestellt 
und geliefert wurde, was alles, nach meiner Übung, ich vor Neujahr 
einzuziehen trachte. Den vorletzten und letzten Christmond traf ich den 
edlen Herrn bei erschöpfter Casse, da er mit dauerndem Unglück im 
Würfelspiel zu kämpfen hatte. Wie mag es wohl heuer um ihn stehen?“ 
„Das frage du ihn selber, nachdem du Imbiss bei mir gehalten 
hast!“ erwiderte der Alte. „Er kehrt bei zunachten ins Stift. Alle 
Brüder, Propst und Capitel, sind auf die Jagd verritten, mich Alten, 
wie du siehst, ausgenommen. Ich gedachte meinen Ausgang dem neuen 
Heiligen zu widmen, dessen Marter und Wunder dort drüben“ — er 
wies nach dem schlank aufsteigenden Chor des Fraumünsters — „zu 
dieser Stunde von einem geistreichen Luzernerpfaffen dem gläubigen 
Volke dargelegt werden, und dessen Glorie meine darüber unbilliger⸗ 
weise empfindlichen Brüder für heute aus der Stadt vertrieb. Da 
jedoch mehr Neugier als Andacht meine Schritte lenkte und der Schnee 
des Himmels sie hemmt, so mag ich ohne Schaden meiner Seele umkehren. 
Lass deinen Braunen in die Herberge zu den Raben führen! Dort 
steht der Stallknecht St. Meinrads wie eingepflanzt am Wasser und 
starrt nach der Franen Münster hinüber! Dein Zapp, der hier trübselig 
im Schnee sitzt, mag sich an meinem Küchenfener wärmen. Aber bei 
St. Felix bluͤtigenm Haupte, ich kann nicht länger im Nassen stehen! 
In diesen Schneepfützen sitzt die tückische Hexe mit ihrer Zange, ich 
meine die boͤse Gicht, die mich diesen Winter gezwickt und erst vor kurzem 
losgelassen hat. Folge mir bald, Engelländer!“ 
Nach diesen geflügelten Worten schmiegte Herr Burkhard sich fröstelnd 
in seinen Pelz und begann vorsichtig, wie er gekommen war, die feuchte 
Gasse wieder hinanzusteigen. 
Hans aber rief den lungernden Knecht herbei und übergab ihm mit 
den Zügeln seines Gauls allerhand Aufträat und Weisungen an den 
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