Full text: Moderne deutsche Dichter

315 — 
Sturm. 
Die Wolken bersten. Blitz auf Blitz, als ob 
Ein Sack voll glühender Schlangen platzte, zischt 
In das erschrockene Meer. Der Sturm trompetet: 
saͤrieg! Krieg! Und fährt, ein Wikinger, daher, 
Als gält's in einem Stoß den Feind zu werfen. 
Doch schweigend trotzt das steile Felsenufer. 
Die alten Eichen oben stemmen tapfer 
Die breite Brust dem Sturm entgegen: komm nur! 
Die erste spleißt, zerspellt. Die zweite schwankt, 
Schmettert zu Boden, reißt den Schoß weit auf, 
Der sie jahrhundertlang ernährt, und stößt 
Stürzend Geröll und Erde mit ins Meer. 
Secunden schwebt sie überm Rand. Hält sie 
Der Sturm hohnlachend in der starken Faust? 
Griff sie der Tod, der dort in einer Spalte 
Des wildzerklüfteten Gesteins voll Gier 
Der Beute wartet? Eine schwarze Wolke 
Weht, straff gebanscht, sein Mantel weit hinaus. 
Den linken Arm feft ums Gefels gehakt, 
Beugt er sich vor, und in den blauen Blitzen 
Leuchtet sein Schädel wie die Möwen, die 
Der Sturm wie spielend an die Klippen wirft. 
nd wie die Möwen lenchten grell und flattern 
Zerfetzte Segel draußen. Eine Brigg. 
Fin hilder Tanz! Die eine Welle wirft 
Den steuerlosen Rumpf der andren zu: 
Vielhundert Tänzer und nur eine Braut. 
Auf einmal — wächst der Tod ins riesenhafte? 
Ein schwarzer Schatten, greift er lang hinaus, 
Packt mit der Faust den Mast und schüttelt ihn, 
Biegt, zieht und zerrt. Geht's ihm nicht schnell genug? 
Die Beingelenke krachen. Lauter kracht 
Die Brigg in allen Fugen. Und er hat sie, 
Hebt sie — that es die Welle? — nein, er hebt, 
Ein Spielzeng, sie und stampft sie auf das Riff, 
Dass Kiel und Bug und Deck wie Glas zersplittern. 
Ein einziger Schrei! Zwölf Männer schluckt die See. 
Nur einer, dort, auf der gestürzten Eiche — 
Sie trägt ihn. Rittlings klemmt er um 
Den breiten Stamm die Schenkel, krallt sich ein 
Ins knorrige Geäst und reitet so, 
Triefend, ein Meergott, durch den Wogenschwall.
	        
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