Full text: Moderne deutsche Dichter

„Sduard Mörike. 
Um Mitternacht. 
Gelassen stieg die Nacht ans Land, 
Lehnt träumend an der Berge Wand, 
Ihr Auge sieht die goldne Wage nun 
Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn: 
Und kecker rauschen die Quellen hervor, 
Sie fingen der Mutter, der Nacht, ins Ohr 
Vom Tage, 
Vom heute gewesenen Tage. 
Das uralt alte Schlummerlied, 
Sie achtet's nicht, sie ist es müd'; 
Ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch, 
Der flücht'gen Stunden gleichgeschwungnes Joch. 
Doch immer behalten die Quellen das Wort, 
Es singen die Wasser im Schlafe noch fort 
Vom Tage, 
Vom heute gewesenen Tage. 
/Die traurige Rrönung. 
Es war ein König Milesint, 
Von dem will ich euch sagen: 
Der meuchelte sein Bruderskind, 
Wollte selbst die Krone tragen. 
Die Krönung ward mit Prangen 
Auf Liffey⸗Schloss begangen. 
O Irland! Irland! warest du so 
blind? 
Der König sitzt um Mitternacht 
Im leeren Marmorsaale, 
Sieht irr' in all die neue Pracht, 
Wie trunken von dem Mahle; 
Er spricht zu seinem Sohne: 
„Noch einmal bring die Krone! 
„Doch schau, wer hat die Pforten 
aufgemacht?“ 
Da kommt ein seltsam Todtenspiel, 
Ein Ing mit leisen Tritten, 
Vermummte Gäste groß und viel 
Eine Krone schwankt inmitten; 
Es drängt sich durch die Pforte 
Mit Flüstern ohne Worte; 
Dem Könige, dem wird so geister— 
schwül. 
Und aus der schwarzen Menge blickt 
Fin Kind mit frischer Wunde; 
Es lächelt sterbensweh und nickt, 
Es macht im Saal die Runde, 
Es trippelt zu dem Throne, 
Es reichet eine Krone 
Dem Könige, des Herze tief er— 
schrickt.
	        
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