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Franz Dingelstedt. 
267. Meiner Mutter. 
(Zu ihrem letzten Geburtstage.) 
1. Da schwingt sich über Thal 5. Und wenn ich bang durchs 
und Hügel Leben irrte, 
Ein herbstlich Blatt hinauf zu dir Das früh zu dunkeln schon begann, 
Und bringt dir auf des Windes Flügel Wenn sich mein Geist, der leicht ver— 
Den schönsten, wärmsten Gruß von wirrte, 
mir; Mit düstrer Träumerei umspann: 
Der soll sich denen eng vereinen, So führtest du mit frommer Liebe 
Die heute feiernd dich umwehn, Mich in ein freundliches Asyl, 
Dass du und alle Lieben meinen, So fand der Blick, der thränentrübe, 
Mich selbst in ihrem Kreis zu sehn. In deinem Aug' ein tröstlich Ziel. 
2. O dass es doch ein Hymnus 6. Wohl mit der Sehnsucht Bettel⸗ 
wäre worte 
Von tausend Stimmen, voll und An manche Thüre klopft' ich an, 
mild, Doch ward dem Wandrer keine 
Ein Blumenkranz wie für Altäre, Pforte, 
Ein Licht wie vor ein Heil'genbild! Kein Herz dem Herzen aufgethan; 
Dass Töone in den Saiten schliefen Wenn andre kalt mich aufgegeben 
Wie Orgelklang und Sturmesnacht, Und meinen Liebesdurst verhöhnt, 
Und jubelnd dir entgegenriefen, Hast du mich mit dem kargen Leben, 
Wie ireu dein Sohn an dich gedacht! Mich mit mir selber ausgesöhnt. 
3. Und wenn mir schon ein Lied 7. Und wie du stets mit Mutter⸗ 
gelungen, sorge 
Das aus den jungen Saiten bricht, Den kranken Liebling treu beschirmt, 
Wenn einst mein Sang mit Feuer- Wenn durch der Jugend graueu 
zungen Morgen 
An gleichgestimmte Herzen spricht: Des Todes Schreckenshauch gestürmt: 
Es war, es ist ja deine Seele, So hast du auch mit starkem Schilde 
Die, Mutter, sich in mir erschließt, Den innren Feind mir abgewehrt 
Bald weinend singt wie Philomele, Und mich mit heil'ger Frauenmilde 
Bald adlergleich gen Himmel schießt! Des Lebens Liebe neu gelehrt. 
4. Wer lehrte mich, durch Früh— 8. Ach, dass ein Gott mir Macht 
lingsauen gegeben, 
Mit Frühlingssinn hindurchzugehn, Nun dir als Schutzgeist nah zu sein, 
Die Wunder der Natur zu schauen Wie wollt' ich deinen Weg durchs 
Und ihre Träume zu verstehn? Leben 
Wer zog die schwankenden Ge- Mit Frucht und Blüte reich bestreun; 
stalten Wie sorgsam würd' ich das entfernen, 
Der Knabenbrust zum lichten Tag Was dich gedrückt auf trüber Bahn, 
Und hieß zur Blüte sich entfalten, Wie trüg' ich zu den ew'gen Sternen 
Was keimend und gebunden lag? Auf Ruhmesflügeln dich hinan!
	        
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