Object: [Teil 3 = Klasse 7 (4. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 3 = Klasse 7 (4. Schuljahr), [Schülerband])

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unsere Kräfte uns zu täuschen. Wir haben uns getäuscht; so 
war es beschlossen." 
Die Königin brach dieses dornige Gespräch ab und gab ihm 
eine leichtere andere Wendung. Man ging darauf zu Tisch, bei 
welchem prächtigen Mahle Napoleon den Wirt machte und die 
Königin zur Rechten, der König zu seiner linken Seite saß. 
Letzterer, ernst und in sich gekehrt, sprach wenig, aber treffcnb 
und gut. Er und seine Wahrhaftigkeit blieben in jedem Augen¬ 
blick, auch dem verhängnisvollen, sich selbst treu. Er überließ 
lieber die Unterhaltung seiner gewandten Gemahlin, die bei aller 
Treue und Unschuld des Charakters mehr die Sprache in ihrer 
Gewalt hatte und sich leichter in beliebte Formen gewandt schmiegen 
konnte. Mit vieler Klugheit vermied sie politische Seiten, und 
ohne dem mächtigen französischen Kaiser zu schmeicheln, was sie 
nicht konnte und wollte, sprach sie viel und, ihrer Überzeugung 
gemäß, mit Achtung und Wohlwollen von der damaligen Kaiserin 
Iosephine. Der Kaiser war von der Königin Luise ganz ein¬ 
genommen. Eine solche weibliche Anmut und Würde war ihm 
noch nicht vorgekommen. Seine Bewunderung wuchs mit jedem 
Augenblick, und er sagte nachher zu Talleyrand: „Ich wußte, 
daß ich eine schöne Königin sehen würde, und ich habe die 
schönste Königin und zugleich die interessanteste Frau gefunden," 
— ein Urteil des Mannes, der zuvor die Königin bei jeder Ge¬ 
legenheit verhöhnte, sie als ränkevoll schilderte und lächerlich 
machte, ein Beweis, daß sie etwas besaß und etwas in ihr lag, 
was auch Feinde versöhnen und gewinnen konnte. 
Alle, die den König in diesen verhängnisvollen Tagen beob¬ 
achteten, stimmen in seiner Beurteilung darin überein, daß er 
nicht aus seiner Fassung gekommen sei. Der nächsten Umgebung 
des französischen Kaisers war dieses Verhalten des Königs von 
Preußen so befremdend und auffallend, daß sie äußerten: „Er 
benimmt sich, als wenn er Sieger und wir die Besiegten wären." 
Die so urteilten, wußten freilich nicht, daß es eine stille Größe 
der Seele gibt, die mächtiger ist als das Glück, wenn es hebt, 
und das Unglück, wenn es stürzt. In beidem, da, wo der König 
besiegt in Tilsit und wo er siegreich in Paris weilte, war und 
blieb er der gleiche; seine Grundsätze waren stärker und fester als 
die Erscheinungen der Zeit. Rulemann Friedrich Eylert.
	        
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