Full text: Der geographische Unterricht

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Inhalt und zwar der sittliche Inhalt der römischen Geschichte, durchaus nicht 
das Verhängniß eines Naturzwanges oder ein geheimes Verdienst der italie- 
nischen Halbinsel."i) 
Die geographische Lage des europäischen Rußlands begünstigte allerdings 
das erobernde Vordringen der Russen nach Asien hin, aber nicht die Begrün- 
dnng einer russischen Herrschast über Europa. Dazu würde vor allen Dingen 
nothwendig fein, daß sich die Russen nach dem offenen Weltmeere vorarbei- 
teten. Nun liegen aber Rnßland's Ufer nur an zwei Binnenmeeren. Diese 
lassen sich mit Kammern vergleichen, zu denen andere Völker die Schlüssel 
besitzen. Das baltische Meer gesriert im Winter; dann wird Schweden mit 
den dänischen Inseln fest, und die Schisssahrt muß eingestellt bleiben. Die 
Wasser des Pontus dagegen fließen durch ein doppeltes so enges Thal ab, 
daß sich jede Stelle unter ein Kreuzfeuer von Artillerie bringen läßt. Darum 
sucheu denn auch allerdings die Russen sich nach einem offenen Meere vor- 
wärts zu drängen, und so oft die Gefangenen ungeduldig am Gitter ihres 
geographischen Kerkers rütteln, wird es den Völkern Westeuropas um ihren 
Frieden banges) 
Dagegen konnte die centrale Lage von Deutschland einer Herrschafts- 
Übung sehr behilflich werden. Und „in der That bildete auch der Kern der 
in der Zeit der Völkerwanderung auf dem Bodens Deutschlands zurückgeblie¬ 
benen germanisch-deutschen Stämme fortan den Mittelpunkt der gefammten 
christlich-germanischen Welt. Von dort aus wurde das römische Weltreich 
erneuert, und bei der zweiten Erneuerung desselben durch die Sachsen wurde 
der alte Boden Germaniens der eigentliche Sitz des römisch-deutschen Kaiser- 
thums. „Zwei Schwerter", heißt es im Sachsenspiegel, „ließ Gott auf 
Erdeu, zu beschirmen die Christenheit: dem Papste das geistliche, dem Kaiser 
das weltliche." In dieser Glanzperiode des deutschen Landes und Volkes 
zur Zeit der Ottoueu, Salier uud Staufen, in diesem Heldenalter der deutschen 
Nation war das römisch-deutsche Reich das herrschende, war Deutschland 
die leitende Macht, Deutschlaud's Geschichte die allgemeine Europa's, war es 
das Centrallaud der allgemeinen Interessen ".^) 
Daß auch von solchen Ländern, welchen keine centrale Stellung zukommt, 
eine Weltherrschast ausgehen kann, beweist uns die Geschichte der pyreuäischeu 
Halbinsel. Die eigentümliche Verkettung historischer Umstände am Ausgange 
des 15. und am Anfange des 16. Jahrhunderts brachte es mit sich, daß 
Spanien ein Reich wurde, in dem die Sonne nicht unterging. Und wenn auch 
der spätere Sitz der Herrschaft Alexanders des Großen Babylon, als das 
Centrum von Vorderafien, ward, fo ist doch diese griechisch-macedonische 
Weltherrschaft eigentlich von der Hämnshalbinsel ausgegangen, einem Lande, 
das eben so wenig eine centrale Position beanspruchen dars. 
Die isolirte Lage eines Ländergebietes vermag den Bewohnern dessel- 
ben Nicht immer Schutz gegeu fremde Eroberer zu gewähre». Denn 
auch Gebirge, Wüsten und Meere können unter Umständen von Kriegsheeren 
bewältigt werden und verlieren dann ihre isolirende Kraft. Das sowohl 
durch Wüsten als auch von der Seeseite schwer zugängliche Arabien sah aller- 
dings keine Eroberer, aber weder Vorderindien noch Großbritannien blieben 
1) Peschel, Die Rückwirkung der Ländergestaltung auf die menschliche Ge- 
sittung. Ausland 1867, 917. — 2) 1. c. Ausland 1871, 314. — 3) Kutzen, 
Das deutsche Land I, 21.
	        
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