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scheiterte, sie jedoch retteten sich auf einen Felsen im Meere, wo es nichts
zu essen und zu trinken gäbe, so würden sie dennoch, in Hoffnung auf
das rettende Boot, das ihnen, wenn auch erst nach etlichen Tagen
vom Lande her zu Hülfe kommen sollte, vergnügt und froh sein, denn
sie hätten doch da, auf dem frei über dem Wasser hervorragenden
Felsen etwas, das zur Erhaltung des Lebens nothwendiger ist als
Speisen und Getränke, Betten und Kleider: die Luft, welche kein
Mensch, er sei reich oder arm, jung oder alt, auch nur zehn Mimtten
lang entbehren kann.
Bei den Thieren fällt die Verschiedenheit der Dinge, nach welchen
jedes fein Begehren hat, noch viel mehr in die Augen. Der Adler
wie der Löwe würden in einem Garten, voll der köstlichsten Früchte
und Gemüse, auf einer Wiese voller Klee und Gras verhungern; sie
begehren frisches Fleisch und Blut zu ihrer Nahrung und müssen die
Sättigung oft weit umher mit Mühe suchen, welche das Lamm in
seinem Grasgarten ganz nah und ohne Mühe findet. Der Storch zieht
das Fleisch der Frösche, der Eidechsen und Schlangen, der Feldmäuse
und Heuschrecken jeder andern Kost vor; sein Vetter, der Kranich, lobt
sich dagegen den Genuß der grünen Saat, wie der Saatkörner, junger
Erbsen und nebenbei der Insekten. Die stachligen Gewächse, an denen
das Kameel in der Wüste sich vergnügt, würde, wenn sie bei uns
wüchsen, weder Roß noch Rind anrühren. Der mächtige Wallfisch sät¬
tigt sich an den Weichthieren und Gallertthieren (Schleimwürmern) des
Meeres, an denen der geftäßige Haifisch vornehm, ohne anzubeißen,
vorüberschwimmt. Und so ist der Geschmack an den oder jenen Dingen
bei den Thieren fast so verschieden, als ihre Art und Gestalt, ihr
Wohnort und Vaterland es sind; ein Element aber giebt es, welches
sie ohne Ausnahme alle begehren, ohne welches der Löwe eben so wenig
als die Maus, der Wallfisch eben so wenig als die Schnecke leben
kann, das ist abermals die Luft. Diese muß nicht erst wie Speise
und Trank in den Magen und die Eingeweide eingeführt und hier zum
Nahrungssaft werden, um dann weiter ins Blut zu gehen, sondern sie
senkt sich unmittelbar zu diesem Quell des thierischen Lebens hinab.
Alle Thiere, sie mögen bei den Kräutern des Feldes und Waldes, oder
bei der Fülle des thierischen Fleisches, im Meere oder auf dem Lande
in Kost gehen, müssen athmen, wenn sie zum Bewegen, zum Essen und
Trinken kräftig bleiben, wenn sie leben sollen.
Aber gerade von diesem unentbehrlichen Elemente, das die Thiere
wie die Menschen zu ihrem Leben und Bestehen haben müssen, nicht
nur etwa gern haben möchten, gilt das am meisten, was das alte
Sprüchwort sagt: „Wo unsere Kraft ist viel zu klein, stellt Hülfe sich
von selber ein." Denn eben für jene, nicht nur tägliche oder stündliche,
sondern in jedem Augenblicke sich erneuernde Noth ist auch draußen, im
großen Haushalte der Natur am gründlichsten und ausreichendsten ge¬
sorgt. Luft ist überall, wo lebende Wesen wohnen, aus den Höhen
und in den Tiefen; sie drängt sich dem neugebornen Kinde von selber