Full text: Realienbuch (Teil 2, [Schülerbd.])

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267, Beginn der Reformation. 
äußerlich zur ihr, um sich den Zorn der mächtigen Priesterschaft 
nicht zuzuziehen; andere waren in Unglauben versunken und 
spotteten des Heiligen. 
Ein großer Mißbrauch, den die Priesterschaft damals dul¬ 
dete, und der zugleich die Wurzel vieler anderer Mißbräuche 
wurde, war der Ablaßhandel. Es war schon in uralter Zeit 
Sitte, daß dem, der sich gegen kirchliche Ordnungen und Ge¬ 
setze vergangen hatte, und durch Büßungen — z. B. Wall¬ 
fahrten, besonders nach Rom, Jerusalem re., Hersagen von 
Psalmen und Gebeten, Beisteuern zur Erbauung von Kirchen, 
Klöstern und Heiligenhäuschen — die Schuld abtrug, Ablaß 
(d. h. Vergebung) erteilt wurde. Als man aber anfing, die 
kirchlichen Satzungen den göttlichen Geboten gleich zu stellen, 
wurde jener kirchliche Ablaß als die göttliche Vergebung der 
Sünden angesehen. So bildete sich nach und nach die Meinung, 
daß man sich durch äußere Werke die Gnade des Richters er¬ 
werben könne, der nur das Herz ansieht. 
Papst Leo X., ein Freund der schönen Künste, schrieb 
einen allgemeinen Ablaß aus, um die prachtvolle Peterskirche 
zu Rom ausbauen zu können. Den Verkauf der Ablaßzettel 
in Deutschland übernahm für die Hälfte des Ertrages desselben 
der Erzbischof von Mainz. Er sandte nach Sachsen den Domiui- 
kanermönch Johann T e tz e l aus Leipzig. Derselbe wurde in 
allen Ortschaften als des Papstes Gesandter feierlichst empfangen. 
Vor dem Altare stellte er einen großen Geldkasten aus, der die 
Inschrift trug: 
„Sobald das Geld im Kasten klingt, 
Die Seele aus dem Fegfeuer springt." 
Er pflegte zu sagen: „Der Ablaß ist die höchste Gabe Gottes; 
das rote Kreuz des Papstes vermag so viel, als das Kreuz 
Christi; ich, Tetzel, habe mit dem Ablaß weit mehr Seelen er¬ 
rettet, als Petrus mit seiner Predigt, und mag mit ihm im 
Himmel nicht teilen." Jede, sogar eine noch zu begehende 
Sünde konnte gegen Erlegung einer gewissen Geldsumme erlassen 
werden. In Folge dessen wurden die Beichtstühle leer, und wer 
noch kam, besaß schon einen Ablaßzettel und glaubte deshalb 
der Buße nicht zu bedürfen, um vor Gott bestehen zu können. 
Als der Ablaßkrämer auch in Jüterbogk, unweit Wittenberg, 
seinen schnöden Unfug trieb, erhob sich Martin Luther 
gegen diesen heillosen Mißbrauch. Da Predigten und Ermah- 
unngen nichts fruchteten, schlug er am Vorabende des Aller¬ 
heiligenfestes, am 31. Oktober 1517, an die Thür der Schlo߬ 
kirche zu Wittenberg 95 Sätze (Thesen) in lateinischer Sprache 
au, und lud die Gelehrten ein, auf Grund der hl. Schrift mit 
ihm zu disputieren. Der erste Satz lautete: „Unser Herr Jesus 
Christus will, daß das ganze Leben seiner Gläubigen auf Erden
	        
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