Arndt.
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heißen, sondern hadernde und einander zersetzende und zersetzende
Temperamente und Leidenschaften. Auf dem obern Teil des
Steinschen Antlitzes wohnten fast immer die glanzvollen und
sturmlosen Götter. Seine prächtige, breite Stirn, seine geistreichen,
freundlichsten Augen, seine gewaltige Nase verkündigten Ruhe,
Tiefsinn und Herrschaft. Davon machte der untere Teil des Ge¬
sichts einen großen Abstich,' der Mund war offenbar der oberen
Macht gegenüber zu klein und fein geschnitten, auch das Kinn
nicht stark genug. Hier hatten gewöhnliche Sterbliche ihre Woh¬
nung, hier trieben Zorn und Jachzorn ihr Spiel und oft die
plötzliche Heftigkeit, die gottlob, wenn man ihr fest begegnete,
sich bald wieder beruhigte. Aber das ist wahr, daß, wenn dieser
schwächere untere Teil im Zorn zuckte und der kleine, bewegliche
Mund mit ungeheurer Geschwindigkeit seine Aussprudelungen voll¬
führte, die oberen Teile wie ein schöner, sonniger Olymp noch zu
lächeln und selbst die blitzenden Augen nicht zu dräuen schienen,'
so daß, wer vor der unteren Macht erschrak, durch die obere
Macht getröstet ward. Sonst sprach aus allen Zügen, Gebärden
und Worten dieses herrlichen Mannes Redlichkeit, Mut und
Frömmigkeit. Er war ein herrischer Mann, wäre ein geborner
Fürst und König gewesen, kurz ein Nummer-Eins-Mann. Ich
will hiemit nicht gesagt haben, daß dm- als ein Nummer-Zwei-
Mann nicht auch vortrefflich sein und wirken könne. Das versteht
sich ja von selbst,' aber Stein war dazu nicht geschaffen. Es war
eine zu mächtige Eigentümlichkeit in ihm, seine Natur überhaupt
aus einem so strengem Merallgusse, daß er sich einer fremden
Natur uicht leicht anschmiegen, viel schwerer noch sich ihr unter¬
schmiegen konnte, was die edelsten Menschen für gute Zwecke oft
gethan haben und thun müssen.
6. Aus Arndts Kinderzeit.
Mein Bater war der Sohn eines Hirten, ein Freigelassener,
der bei einem großen Herrn gedient und durch die Gunst der
Umstände sich ein bißchen aus dem Staube herausgebildet hatte.
Er war ein schöner, stattlicher Mann und hatte sich durch Reisen
und Berkehr mit Gebildeten so viel Bildung zugeeignet, als ein