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die Sachsen zur Zeit Karls des Großen, das sieht man aus der Be¬
handlung der gefangenen Römer; und eine Umwandlung, wie wir sie
für die Sachsen als ein Glück erkannten, muß doch auch sür die Deut¬
schen zur Zeit des Augustus als heilsam angesehen werden. In Wahr¬
heit liegt die Sache aber doch anders. Die Römer hatten gar nicht
die Absicht, die Deutschen zu veredeln, sie wollten sie sich unterwerfen,
wie sie die anderen Völker (Juden rc.) unterworfen hatten. Sie konnten
die Deutschen auch nicht einmal so veredeln, wie Karl der Große die
Sachsen, denn sie waren selbst noch Heiden und grausam genug, sonst
wäre bei ihnen nicht das Kreuzigen (Christus) als Todesstrafe üblich
gewesen. Die Bildung aber und die Vorteile (Urbarmachung des Landes,
Wege, Verkehr, Städte, Märkte rc.), wären mit der Einbuße des deut¬
schen Volkstums (väterliche Sitten, Landesgebräuche re.), das die Sachsen
nach ihrer Besiegung durch Karl den Großen behielten, zu teuer erkauft
gewesen. Darum war es ein Glück sür Deutschland, daß es in dem
Augenblick, in dem ein Varus Statthalter wurde, einen Mann wie
Armin besaß.
2. Aber die Deutschen, besonders Armin, haben doch das Vertrauen
des Varus schändlich und hinterlistig gemißbraucht! — Ja, einen offenen
Aufstand wagen sie nicht, sondern sie verstellen sich, thun so, als wollten
sie gutwillig gehorchen, Armin läßt sich sogar zur Tafel laden und
täuscht noch zuletzt das Vertrauen des Varus mit der Vorspiegelung, er
wolle ihm Hilsstruppeu zuführen. Aber auch hier muß man genauer
zusehen. Varus ist nicht etwa ein Gast der Deutschen, der sie in ihrem
Lande besucht, oder einer, der arglos ihre Freundschaft erstrebt, sondern
er weiß genau, daß er die Deutschen unterjochen will, er fordert von
ihnen Tribut und will sie nach römischem Recht richten; er muß sich
also sagen, daß sie ihn als ihren Feind betrachten müssen, daß sie nur
der Gewalt nachgeben, daß sie sich im Krieg gegen ihn denken. Im
Krieg aber ist List und Verstellung erlaubt, noch dazu wenn, wie
damals, kein anderes Mittel vorhanden ist, den Feind zu besiegen.
Armin hätte gewiß den offenen Kampf der Verstellung vorgezogen, wenn
er auf Sieg hätte hoffen können; aber er kannte genau die große
Macht der Römer, ihre bessere Bewaffnung und hohe Kriegskunst.
Darum konnte er, wenn er fein Vaterland befreien wollte, nicht anders,
als den listigen Plan entwerfen und ausführen. Die Ausführung wird
ihm so noch schwer genug, Denn Varus wird, vielleicht von Verrätern,
gewarnt, viele Deutsche schwanken, jedenfalls aus Angst, dem Bunde
» gegen die Römer beizutreten, und obgleich die Beschaffenheit des Landes,
Wind und Wetter sich mit Armin verbünden, kann er doch erst am
dritten Tage die tapferen Feinde vernichten. Nur durch Aufbietung
aller feiner Klugheit und Tapferkeit also gelang es Armin, Deutschland
vom Joche der Römer zu befreien.
Varus aber zeigt sich äußerst unklug. So gering sein Verständnis
für die Art und Weife ist, wie die Deutschen umgewandelt werden
können, so groß ist seine Vertrauensseligkeit. Er suhlt sich völlig sicher,
sogar nachdem er gewarnt worden ist. Diese Vertrauensseligkeit ist