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Die Religion der Germanen. §. 2.
(ohne anhaltendes w). Von ihm geht alles Lehen in der physischen Natur,
wie auf dem geistigen Gebiete aus, insbesondere der kriegerische Geist. Er
lehrt die von ihm begünstigten Helden die Kriegskunst, namentlich die.von
ihm selbst erfundene keilförmige Schlachtordnung, er verleiht den Sieg als
das wünschenswerteste Gut und empfängt die in der Schlacht Gefallenen
(d. h. den Wal) in seiner himmlischen Halle (Wal-halla), wo ihr Lehen
eine Fortsetzung, aber zugleich eine Verklärung des irdischen ist, — ein
Glaube, der vorzugsweise geeignet war, den Heldensinn zu fördern. Wie
der griechische Apollo, ist Wuotan der Gott sowohl des physischen Lichtes
(Sonnengott), als des geistigen, daher Erfinder der Dichtkunst und der
Runen (d. h. mystischer Zeichen des Anlautes mit magischer Kraft). Auch
darin gleicht er dem Apollo, dass ihm die Heilkunst zugeschrieben wird
(im zweiten Merseburger Spruche).
Die übrigen Götter gehen von Wuotan aus, dessen einzelne Seiten sie
individualisirt darslellen, während Wuotan wieder das Wesen aller anderen
Götter in sich zusammenfasst. Sein ältester Sohn, Donar (abgekürzt
Thorr), erscheint als Gott der physischen Cullur, der mit dem Blitzstrahle
furchtbar ist, aber auch durch Gewitterregen die Erde fruchtbar macht und
die Menschen überhaupt gegen alle verderblich wirkenden Nalurkräfte in
Schulz nimmt. Wuolan’s schönster Sohn, Balder (Phol), ist der Licht¬
gott. Sein Bruder Zio oder nordisch Tyr repräsenlirt die schreckliche
Seite des Krieges, er stürzt sich selbst in die Schlacht (gleich dem grie-
chischen Ares), während Wuotan aus seiner Wolkenhöhe herab die Ge¬
schicke der Schlacht lenkt. — Wuotan’s Gemahlin ist Hertha oder Ner-
thus, d. h. die Mutter Erde, die besondere Beschützerin des Hauses und
des Familienlebens. Tacitüs beschreibt den Cultus derselben auf einer
Insel des „Oceans“ (an der Ostküste Holsteins?). Ausser ihr verehrte man
Frija, die Göttin der Liebe.
Der Glaube der Germanen an eine über den Göttern stehende Welt¬
regierung (entsprechend dem Fatum) zeigt sich in der Annahme von
Nornen als Verkündigerinnen und Vollstreckerinnen des Schicksals
( Wurt — das Vergangene, Verdandi — das Gegenwärtige, Skuld = das
Zukünftige).
Riesen und Elben. Den feindlichsten Gegensatz zu den wohl-
thätigen Göttern bilden (in der Edda) die Riesen. Sie repräsentiren die
rohe, sinnliche Kraft in den Elementen, welche den Menschen Verderben
droht und selbst mit den guten Gottheiten im Kampfe begriffen ist, aber
von der Ueberlegenheit des Geistes bewältigt wird. Wie die Riesen durch
ihre physische UeTterlegenheit den Menschen furchtbar waren, so die
Zwerge, Elben (Elfen) und andere Erd- und Wassergeister wegen
ihrer List, Verschlagenheit und bösen Zauberkünste. Doch unterschied
der Dualismus, welcher in der nordischen Mythologie vorherrscht, gute
oder Lichtelben, welche den Menschen freundlich gesinnt sind, und
schwarze, wozu die Zwerge gehörten, als feindliche Wesen.