Innere Poliiik im deutschen Reiche und in Preußen.
181
besitzern. Zudem hat die übermäßige Zerstückelung der Pachthöfe, die im
Laufe der Zeit eingetreten ist, zur Verarmung der Bevölkerung viel bei-
getragen; die Folge davon war eine starke Auswanderung nach Nord-
amerika. Die Forderung der Iren lautet heute homerule, Selbstregierung;
die Homerule-Vorlage aber, die der langjährige Führer der Liberalen,
G l a . d st o n e, rat Parlamente einbrachte, wurde vom Oberhause abgelehnt.
Zu Beginn des Jahres 1901 starb, 81 Jahre alt, die Königin
Viktoria nach einer dreiundsechzigjährigen Regierung, in welcher sich
die Hilfsmittel und die Macht Großbritanniens in außerordentlicher Weise
entfaltet hatten. Ihr folgte ihr Sohn, der sich Eduard VII. nannte, ®b"agoiVI1'
im Alter von 59 Jahren.
Innere Politik im deutschen Reiche tmb in Preußen.
§ 144. Der kirchliche Streit. Für die innere Geschichte des neuen
deutschen Reiches waren zunächst seine Beziehungen zur katholischen Kirche
bedeutsam. Unter Pius IX. hatte in demselben Jahre, in dem das Pius ix.
Papsttum seiner weltlichen Herrschaft verlustig ging, das vatikanische
Konzil erklärt, daß der Papst, wenn er ex cathedra spreche, unfehl¬
bar sei. Die Minderheit, welche gegen die Verkündigung dieses Dogmas
gewesen war, unterwarf sich zum größten Teile; nur eine verhältnismäßig
kleine Gruppe deutscher Katholiken fügte sich nicht und bildete eine eigene,
altkatholische Kirche.
Sowohl im Reichstage wie im preußischen Abgeordnetenhause erschien
jetzt eine katholische Partei, die sich den Namen Z e n t r u m gab und deren
bedeutendster Führer Windthorst, der frühere Minister des letzten
Königs von Hannover, war. Da sich die Regierung ihrer Forderung, für
die Wiederherstellung der weltlichen Herrschaft des Papstes einzutreten,
verschloß, nahm sie bald die Stellung einer Oppositionspartei an. Die
Regierung antwortete durch Gegenmaßregeln; und so entstand der so-
genannte „Kulturkampf". Durch ein Reichsgesetz wurde der Kulturkampf.
Jesuitenorden und die ihm verwandten Orden aus dem Reichs-
gebiet ausgeschlossen. In Preußen, wo damals Falk zum Kultusminister
ernannt wurde, wurden (im Mai 1873) dieMaigesetze erlassen, welche
von dem Grundsatze ausgingen, daß die Kirche den Staatsgesetzen und der
gesetzlich geordneten Aufsicht des Staates unterworfen bleiben müsse, und
z. B. die Lehrtätigkeit den Ordensmitgliedern untersagten. Im Anschluß
an diese Gesetzgebung entstand 1874 das Reichs-Zivilehegesetz,
das die Beurkundung der Geburten, Heiraten und Sterbefälle den Geist-
lichen nahm und Standesbeamten zuwies.