Das Ende Kaiser Wilhelms I. und Kaiser Friedrichs.
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hinaus zu erneuern« Ihm zur Seite stand der gewaltige Staats-
mann, dessen Abschiedsgesuch der Monarch 1877 mit einem „Niemals"
beantwortet hatte; der mit überlegener Schärfe des Verständnisses und
Tiefe der Auffassung, mit sicherem Blick für das Tatsächliche alle Ver-
Hältnisse der äußeren und inneren Politik beherrschte und mit unerschütter¬
licher Furchtlosigkeit an sie herantrat; der durch seine sittliche Größe, die
Stärke und Lauterkeit seines Wollens, die Wahrhaftigkeit und Frömmig-
keit seines Wesens nicht minder als durch die Genialität seiner politischen
Gedanken immer mehr seinem Volke als ein nationaler Heros erschien.
Geleitet von dem großen Kaiser und dem großen Kanzler, hatte sich ^ w!er?
das Reich unter schweren inneren Kämpfen zu einem Wohlfahrts- wtttt-
st et a t e entwickelt. Gegen äußere Feinde durch eine Heeresorganisation
gesichert, die zum Muster für Europa wurde, beschränkte es sich nicht
darauf, das Recht zu schützen, der Persönlichkeit des einzelnen die Mög-
lichkeit freier Betätigung ihrer Kräfte zu gewähren und durch das all-
gemeine Wahlrecht einen Einfluß auf die Reichsgesetzgebung zuzugestehen;
sondern es war zu positiver Förderung der nationalen Arbeit und zur
Fürsorge für das Los der gedrückten Volksschichten fortgeschritten; es
war zugleich ein Kolonialstaat geworden, der in fremden Erdteilen den
Schutz des deutschen Unternehmungsgeistes übernahm. Nach außeu«»N«f
sodann hatte das deutsche Reich, obwohl es sich von jeder gewaltsamen wtttt.
Politik fernhielt und die Sicherung des Friedens auf sein Panier schrieb,
ein glanzvolle Rolle gespielt; es nahm eine führende Stellung unter den
europäischen Nationen ein, wie es z. B. durch die Berufung des Kongresses
Zur Beratung der Orientfrage 1878 und der Afrikakonferenz 1885 nach
Berlin anerkannt wurde; und die Reichsregierung wußte durch Abschluß
von Bündnissen und kluge Benutzung der auswärtigen Lage, zugleich aber
auch durch Stärkung der inneren Kräfte des Reiches, diese Stellung zu
behaupten.
In glänzenden Festen hatte die gehobene Stimmung der Nation
ihren Ausdruck gefunden; das Kölner Dombaufest im Jahre 1880, drei
Jahre später das Fest der Einweihung des Niederwalddenkmals, die Feier
des siebzigsten Geburtstags des Fürsten Bismarck, die des neunzigsten
Geburtstags des von Gott sichtlich gesegneten Kaisers selbst hatten
Zeugnis abgelegt von der stolzen und dankbaren Freude einer großen,
geeinigten Nation.
Da traf den greisen Kaiser und mit ihm das ganze Volk der
schwere Schlag, daß sein heldenhafter Sohn, der Kronprinz Friedrich
Neubauer-Röstger, Lehrbuch der Geschichte. V.Teil. 13