Full text: Vom Beginne christlicher Kultur bis zum Westfälischen Frieden (Teil 2)

I. Die germanischen Staatenbildungen auf römischem Reichsboden. 
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roh: Eid (Eideshelfer), Gottesurteil (Ordal: Kesselprobe, Feuerprobe) 
und Zweikampf sind die Beweismittel. In Fällen der Verweigerung 
der Bufse erfolgt die Friedloslegung des Verbrechers. Die niedere 
Gerichtsbarkeit, die der Selbsthilfe gleichfalls den weitesten Spiel¬ 
raum läfst, wird in den Gau Versammlungen gehandhabt. 
t) Allgemeine Kultur und Religion. Bei der rauhen 
Unwirtlichkeit des germanischen Landes, die die Germanen vor 
dem Schicksal der Gallier bewahrte, blieb die äufsere Lebenshal¬ 
tung dürftig, erzog aber ein starkes Geschlecht von unverwüstlicher 
Lebenskraft. Den Tugenden der Tapferkeit, des Mutes, der Keusch¬ 
heit und Treue standen die Laster der Trunksucht und Spielsucht 
gegenüber, zu denen der Grundsatz, dafs der freie Mann keine 
Beschäftigung aufser Krieg und Jagd haben dürfe, verführte. Auf 
geistigem Gebiete zeigt eine bei dem Mangel der Schrift durch 
mündliche Überlieferung gepflegte und in einer eigenartigen Kunst¬ 
form, dem Stabreim, gehaltene Poesie und eine tiefsinnige, von 
sittlichen Idealen erfüllte Religion die reiche Beanlagung dieses 
Volkes auch in der Zeit jener ursprünglichen, noch unentwickelten 
Kultur. Zwar fassen die ursprünglich lokal verschiedenen Kulte 
— bei der herminonischen Volksgruppe ist der oberste Gott der 
Himmels- und Kriegsgott Tiwas, bei den Seegermanen ist der 
Dienst der Wanen (Frö und Frouwa oder Nerthus) entwickelt, bei 
den Rheingermanen der des Windgottes Wodan (in der Edda 
Odhin), bei den Kord- und Ostgermanen der des Thor (ahd. Donar) 
— die Götter zunächst nur als Verkörperungen der Naturkräfte auf; 
zwar ist der Kultus zum Teil schrecklich (Menschenopfer). Aber 
schon in früher Zeit wurde der oberste der Äsen, Wodan, Träger 
gewisser sittlicher und Kulturideeen, verdrängte seine Verehrung 
diejenige der früheren Götter bei allen Germanen, war der Glaube 
an ein Fortleben der Seele nach dem Tode lebendig — bei der 
Hel oder, von den „TotenWählerinnen“, den Walkyren, geleitet, 
in Walhall bei Wodan, —- bestand der Glaube, dafs nach dem 
Weltbrande (ahd. müspilli, in der Edda ragna rQk „Götterende“), 
in dem die schuldbeladenen Götter ihren Untergang finden, eine 
schönere, bessere Welt entstehen werde. Neben den oberen Göt¬ 
tern stehen die niederen Gebilde der Mythologie, Riesen, Zwerge, 
Wasser- und Waldfrauen. Der Kultus ist einfach und findet in
	        
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