I. Die germanischen Staatenbildungen auf römischem Reichsboden.
7
roh: Eid (Eideshelfer), Gottesurteil (Ordal: Kesselprobe, Feuerprobe)
und Zweikampf sind die Beweismittel. In Fällen der Verweigerung
der Bufse erfolgt die Friedloslegung des Verbrechers. Die niedere
Gerichtsbarkeit, die der Selbsthilfe gleichfalls den weitesten Spiel¬
raum läfst, wird in den Gau Versammlungen gehandhabt.
t) Allgemeine Kultur und Religion. Bei der rauhen
Unwirtlichkeit des germanischen Landes, die die Germanen vor
dem Schicksal der Gallier bewahrte, blieb die äufsere Lebenshal¬
tung dürftig, erzog aber ein starkes Geschlecht von unverwüstlicher
Lebenskraft. Den Tugenden der Tapferkeit, des Mutes, der Keusch¬
heit und Treue standen die Laster der Trunksucht und Spielsucht
gegenüber, zu denen der Grundsatz, dafs der freie Mann keine
Beschäftigung aufser Krieg und Jagd haben dürfe, verführte. Auf
geistigem Gebiete zeigt eine bei dem Mangel der Schrift durch
mündliche Überlieferung gepflegte und in einer eigenartigen Kunst¬
form, dem Stabreim, gehaltene Poesie und eine tiefsinnige, von
sittlichen Idealen erfüllte Religion die reiche Beanlagung dieses
Volkes auch in der Zeit jener ursprünglichen, noch unentwickelten
Kultur. Zwar fassen die ursprünglich lokal verschiedenen Kulte
— bei der herminonischen Volksgruppe ist der oberste Gott der
Himmels- und Kriegsgott Tiwas, bei den Seegermanen ist der
Dienst der Wanen (Frö und Frouwa oder Nerthus) entwickelt, bei
den Rheingermanen der des Windgottes Wodan (in der Edda
Odhin), bei den Kord- und Ostgermanen der des Thor (ahd. Donar)
— die Götter zunächst nur als Verkörperungen der Naturkräfte auf;
zwar ist der Kultus zum Teil schrecklich (Menschenopfer). Aber
schon in früher Zeit wurde der oberste der Äsen, Wodan, Träger
gewisser sittlicher und Kulturideeen, verdrängte seine Verehrung
diejenige der früheren Götter bei allen Germanen, war der Glaube
an ein Fortleben der Seele nach dem Tode lebendig — bei der
Hel oder, von den „TotenWählerinnen“, den Walkyren, geleitet,
in Walhall bei Wodan, —- bestand der Glaube, dafs nach dem
Weltbrande (ahd. müspilli, in der Edda ragna rQk „Götterende“),
in dem die schuldbeladenen Götter ihren Untergang finden, eine
schönere, bessere Welt entstehen werde. Neben den oberen Göt¬
tern stehen die niederen Gebilde der Mythologie, Riesen, Zwerge,
Wasser- und Waldfrauen. Der Kultus ist einfach und findet in