Full text: Deutsches Lesebuch für Prima

Wesen des römischen Geistes. 
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Die bisherige Ausführung hatte den Zweck, gegenüber einem verbreiteten 
Vorurteil, welches den Grund der Vorzüglichkeit des römischen Rechts aus¬ 
schließlich in die intellektuelle Begabung der Römer verlegt, die Bedeutung 
des moralischen Elements für diese Frage einmal mit allem Nachdruck zu 
betonen. Ich darf aber, nachdem ich nach beiden Seiten hin: der intellektuellen 
wie moralischen die günstige Prädisposition des römischen Volkes für die Kultur 
des Rechts nachgewiesen zu haben glaube, nicht unterlassen, schließlich noch 
eines Umstandes zu gedenken, der einen höchst förderlichen Einfluß ausgeübt 
hat. Er ist zwar äußerlicher, aber nicht bloß zufälliger Art. Ich meine die 
Eoncentration des römischen Lebens auf die Stadt Rom. Von welchem Einfluß 
dieser Umstand auf die Entwickelung des Rechts gewesen ist, liegt so offen zu 
Tage, daß jedes Wort darüber ein verlorenes wäre; man braucht nur den 
Fall zu setzen, der ja später bei uns in Deutschland eintrat und die Ent¬ 
wickelung unseres einheimischen Rechts so außerordentlich beeinträchtigt hat, 
daß Rom statt eines Centralpunktes für das Recht und die Jurisprudenz 
deren eine ganze Anzahl besessen Hütte, um den Einfluß, den Rom jenem 
Vorzug verdankt, vollkommen zu würdigen. Aber ich glaube, jene Concen- 
tration für Rom ebensowenig als eine bloß geographische Thatsache auffassen 
zu sollen, als wir Deutschen unsere einstige politische Zersplitterung lediglich 
unter diesem Gesichtspunkte betrachten dürfen, sondern ich erblicke in ihr eine 
That des römischen Geistes, die Bethätigung einer Eigenschaft, die ich nicht 
verschweigen darf, wenn meine Charakteristik desselben vollständig sein soll. 
Ich meine die centralisierende Kraft desselben. Nicht die lokale Cen¬ 
tralisierung des gesamten nationalen Lebens: des politischen, der Religion, des 
Rechts, der Kultur aus die Stadt Rom ist es, was mich zur Annahme 
dieser Eigenschaft bestimmt, sondern ich meine, daß sich dieselbe in unver¬ 
kennbarster Weise auch im Recht und seinen Begriffen ausprägt; es wird 
mir im Verlaus meines Werkes nicht an Gelegenheit fehlen, dies an manchen 
Beispielen nachzuweisen.
	        
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