auch Anhänglichkeit an ihren kleinen Staat, der fast alles umschloß, was
sie kannten, und dessen Hilflosigkeit sie nur unvollkommen verstanden.
Hls er ein Nichts wurde, wußten sie nicht mehr, was sie waren, und
fragten einander neugierig und bekümmert, was sie jetzt werden sollten.
Es war ein altes stilles Elend! — Allerdings durch die neuen Ideen, die
von Frankreich herüberkamen, wurden sie etwas unruhig; es war dort
vieles besser als bei ihnen,- sie hörten wohlgefällig auf fremde Emissäre,
sie steckten die Köpfe zusammen, sie beschlossen vielleicht einmal des Abends
abzuschaffen, was sie ärgerte, sie setzten auch Bittschriften an ihren gnädigen
Landesherrn auf. Die Bauern wurden hier und da schwieriger. Aber
solange die Franzosen nicht selbst kamen, war die Bewegung nur ein leichtes
lvellengekräusel. Und als der Franzose Custine nach Mainz kam, ließ
er die Zünfte zusammenrufen; jede sollte einen Konstitutionsentwurf ein¬
reichen, das geschah. Die Perückenmacher reichten ein: „Wir wollen aus¬
sterben bis auf fünfunddreißig, und der Krebs (so hieß ein Meister) soll
unser Ratsherr sein." Die Lohnkutscher erklärten: „Kein Brückengeld wollen
wir mehr bezahlen, dann mag unsertwegen Kurfürst sein, wer da will."
Einer Republik und Verfassung hatte keine Zunft gedacht. Das war der
Standpunkt der Kleinen aus dem Reich im Jahrhundert der Aufklärung.
Seit 1790 brach das verderben über das Reich hinein, Welle schlug
auf Welle von Westen nach Gsten.
Zuerst fielen die weißen Möwen der Bourbonert, Vorboten des Sturmes,
in das Land, — die Emigranten. Mancher wackere Mann war darunter;
die große Mehrzahl, die dieser ganzen Menschengattung Farbe und Ruf
gab, war nichtswürdiges und ruchloses Gesindel. Wie eine Pest verdarben
sie die Zucht der Städte, in denen sie sich niederließen, die Höfe der ein¬
fältigen kleinen Souveräne, die sich geehrt fühlten, die vornehmen Aben¬
teurer aufzunehmen. Koblenz, die Residenz von Kur-Trier, wurde ihr
Hauptlager. Dort drang zuerst ihre Sinnlosigkeit verderbenbringend in
die Familien, auflösend in alle Fugen des kleinen Staates. Sie waren
Flüchtlinge, die die Gastfreundschaft eines fremöen Landes genossen, aber
mit bubenhafter Frechheit mißhandelten sie, wo sie die Stärkeren waren,
den deutschen Bürger und Bauer, wie den törichten (Edelmann, der in
ihnen das galante Paris verehrte.
Und hinter dem verdorbenen Adel flogen die Reden der Rationalver¬
sammlung und die Beschlüsse des Konvents. Rur wenige der Gebildeten ent-
zogen sich ganz ihrem Einfluß. (Es waren zum Teil dieselben Ideen und
Wünsche, die der Deutsche auch hatte, aber es war doch nur der wohlwollende
Anteil an einer fremden Sache. Denn wie trostlos die politischen Zustände
Deutschlands waren, wie unvollkommen und drückend die (Einrichtungen
auch der größeren Staaten — weit verbreitet war doch die Empfindung,
daß man mitten in sozialen Reformen lebe, die sich im Gegensatz zu Frank¬
reich friedlich durch Lehre und gutes Beispiel ausbreiten müßten. An
mehreren Fürsten wurde arge Verkehrtheit oder Unfähigkeit bitter be¬
klagt, im ganzen war nicht zu verkennen, daß die Regierungen von gutem
Willen erfüllt waren. Auch hatte Deutschland keine Aristokratie wie Frank-