Full text: Lesebuch zur Geschichte des 19. Jahrhunderts

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und keine Munition mehr habe, sonst würde ich mich noch lange nicht 
zu übergeben brauchen, und daher hoffe ich, ehrenvolle Bedingungen zu 
erhalten." 
Nachdem der General v. Tilly ihm diese zugesichert, wurde zur Aus¬ 
führung geschritten, indem sich der Hauptmann v. Müsfling zur Cnt- 
werfung der Punkte anschickte. Rllein gleich bei den ersten Zeilen, welche 
der General v. Blücher auszusetzen befahl, und welche folgendermaßen 
lauteten: 
„Ich kapituliere bloß darum, weil es mir an Brot und Munition fehlt!" 
ging der Streit los. Der General Riveaux nämlich, einer der drei fran¬ 
zösischen Kommissars, erklärte, daß dieses nicht in die Kapitulation gesetzt 
werden könne, weil dies nicht üblich sei, usw. Nach einigem hin- und 
Herreden, welches alles der Hauptmann von tttüffling dem General ins 
Deutsche übersetzen mußte, da er selbst nicht französisch sprach, vergaß er 
seine angenommene Holle. Irtit feuersprühenden Rügen richtete er sich 
empor und sagte mit Heftigkeit: „Nun, dann kapituliere ich gar nicht. 
Iftit 30000 Mann, die ich noch befehle, will ich mich noch durchschlagen 
und kehre mich an keine Neutralität mehr." Die französischen Generale 
sahen sich einander verwundert an, wurden aber noch mehr erstaunt, als 
in dem nämlichen Augenblicke ein französischer Offizier ganz verstört in 
die Stube stürzte und dem General Tilly etwas ins Ghr flüsterte. Dieser 
wurde sehr verlegen und sagte: Soeben erhalte er die Nachricht, daß man 
bei unseren Truppen Bewegungen sähe, die ihm bedenklich schienen, und 
daß er hoffe, daß er sich auf des Generals Wort verlassen könne und daß 
er hier nichts zu befürchten habe. — Rls dies dem General erklärt wurde, 
lächelte er und erwiderte: „Sagt ihnen nur, daß sie ganz ruhig sein sollten." 
— Ich benutzte den augenblicklichen Stillstand des Geschäfts und sagte leise 
zum General Tilly, daß er dem General in seiner Forderung nachgeben 
möge, wenn es ihm wirklich ernst sei, Blut zu schonen, denn er kenne diesen 
alten Löwen nicht, der uns lieber bis auf den letzten Mann aufopfern würde, 
ehe er von etwas abginge, was er einmal für gerecht erkenne. 
In der Tat muß ich hier dem feindlichen General die Gerechtigkeit 
widerfahren lassen, daß er mit vieler Ruhe und Billigkeit in allen Stücken 
handelte- daher schlug er vor, die vom General v. Blücher geforderte 
(Einleitung zur Kapitulation unter dieselbe zu setzen, wenn alle Punkte 
zuvor bezeichnet wären, welches er sich endlich auch gefallen ließ, wodurch 
denn der Abschluß sehr beschleunigt wurde. Schon waren die französischen 
Generale im Begriff abzugehen, als einer der französischen Offiziere dem 
General Tilly etwas ins (Dhr flüsterte, worauf sich derselbe umwandte 
und dem General v. Blücher sagte, daß es sich von selbst verstände, im 
Falle er eine Kriegskasse bei sich habe, diese zu übergeben, doch wolle 
man sich auf fein Wort hierin verlassen. Der General v. Blücher stutzte 
ein wenig und befahl mir dann, solche auszuliefern, mit den Worten: 
„Nun geben Sie in des Teufels Namen auch das noch!" 
Ich sagte ihm unbemerkt, daß er sein Wort geben könne, keine Kriegs- 
kasse zu besitzen, da es eine Landeskasse fei, allein, da die Herren schon
	        
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