Full text: Lesebuch zur Geschichte des 19. Jahrhunderts

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ließ er sich nicht nach Verlin bewegen? Warum mußte er sterben? Gb der 
Dichter des Cell auch verblendet worden, wie der Geschichtschreiber der 
Eidgenossen? (Johannes von Müller.) Nein! Nein! Lesen Sie nur die 
Stelle: Nichtswürdig ist die Nation, die nicht ihr Alles setzt an ihre 
(Ehre! — Und ich kann noch fragen, warum er sterben mußte, wen Gott 
lieb hat in dieser Zeit, den nimmt er zu sich." 
von diesem Briefe der Königin wußte, als er geschrieben wurde, be- 
greislich in Berlin niemand etwas- aber Tatsache ist es, daß zu derselben 
Zeit die poetische Hoffnung auf die Wiederkehr des Mädchens von Orleans 
auch in der Hauptstadt auf das deutlichste sich kundgab. Woche für Woche 
wurde, soviel mir erinnerlich, im Theater mehrmals Schillers Jungfrau 
gegeben, immer vor gefülltem häufe, und waren Franzosen in der Stadt, 
so fehlte es in den Logen auch nicht an hohen Offizieren des kaiserlichen Heeres. 
Ging nun der Vorhang in die höhe, so wurden die ersten Szenen 
schweigend angehört, bis Bertrand, den Helm in der Hand, auf der Bühne 
erschien, mit reger Teilnahme folgten dann die Zuschauer allen Be¬ 
wegungen — allen kurzen einleitenden Fragen der Jungfrau bis zu dem 
begeisterten hervorbrechen: 
nichts von Verträgen, nichts von Übergabe! 
Der Retter naht, er rüstet sich zum Kampf. 
Lauter Beifall begleitete, unterbrach die Rede. Dann ward es einen 
Augenblick still bei der zweifelnden Klage: 
flchl (Es geschehen keine Wunder mehr! 
Und von neuem begann der Beifall, wenn Johanna die Worte gab: 
(Es geschehen noch Wunder. (Eilte weiße Taube 
tDird fliegen und mit Adlerskühnheit diese Geier 
Anfallen, die das Vaterland zerreißen. 
Der Herr wird mit ihr sein, der Schlachten Gott. 
Die weitere begeisterte Rede der Jungfrau erhielt dann die Stimmung 
der Hörer noch gehoben, wenn auch ohne lauten Ausbruch. Thibauts 
Schlußworte und der wehmütige Anfang des darauffolgenden Monologs 
beruhigten sogar, aber noch einmal erhob sich der (Enthusiasmus, stieg zu 
seiner höhe auf und äußerte sich in Händeklatschen und frohlockenden 
Bravorufen, sobald die Strophe gesprochen wurde: 
wenn im Kampf die Mutigsten verzagen, 
Wenn Frankreichs letztes Schicksal nun sich naht, 
Dann wirst du meine (Driflamme tragen 
Und, wie die rasche Schnitterin die Saat, 
Den stolzen Überwinder niederschlagen, 
Umwälzen wirst du seines Glückes Rad, 
Errettung bringen Frankreichs heldensöhnen 
Und Rheims befreien und deinen König krönen. 
In gleicher weise wurden die ganze Darstellung hindurch die Stellen 
mit Beifall begrüßt, welche das allen vorschwebende Ziel und die Ge- 
sinnung aller andeuteten, vor allem Dunois' letzter gewaltiger Kriegsruf:
	        
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