fullscreen: Geschichte der neueren und neuesten Zeit (Theil 3)

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Kanonen, in rath- und thatloser Flucht durch- und über einander 
auf die Brücke. Jeder wollte der Erste sein; hier galt kein 
Befehl, kein Rang mehr, Jeder kämpfte um sein Leben. Viele 
wurden in dem Gedränge erdrückt, viele von den Rädern der 
Kanonen und Wagen zerquetscht, viele von der Brücke hinunter 
in den Strom gestürzt. In diese wilde Mcnschenfluth hinein 
donnerten die Kanonen der Russen und richteten eine entsetzliche 
Verwüstung an. Zuletzt brach die Brücke ein; Tausende fanden 
ihren Tod in den Wellen, und Alle, welche noch am jenseitigen 
Ufer waren, wurden gefangen. Über 30,000 Mann verloren die 
Franzosen bei diesem Übergange am 27. November. Napoleon 
selbst, einsehend die Hoffnungslosigkeit seiner Lage, verließ am 
5. December das Heer. Wie Lerxes einst, der Führer von 
Millionen, aus Griechenland fliehend, in einem Kahne in feil* 
Asien wiederanlagte, so durchjagte Napoleon in einem elenden 
Schlitten, den Trümmern seines Heeres voraus, die öden Schnee- 
und Eisfelder Rußlands, nach Wilna, und von da über War¬ 
schau, Dresden und Mainz nach Paris, um schnell die Bildung 
eines neuen Heeres zu veranstalten. Den Oberbefehl über die 
zurückgebliebenen Trümmer überließ ec dem Könige von Neapel. 
Seitdem wich alle Zucht und Ordnung, und das Elend der Fran¬ 
zosen überstieg jedes Maß. Soldaten von allen Regimentern 
liefen wild durch einander. Die wenigsten Reiter hatten noch 
Pferde, vielen fehlte es sogar an Schuhen, und sie umwickelten 
kläglich die Füße mit Kleidern. Dazu wüthete der Hunger so 
entsetzlich, daß selbst Pferde mit Gier verzehrt wurden. Wie 
Todesgestalten wanderten die Soldaten über die Schnee- und 
Eisfelder; ganze Wolken von Kosaken zogen hinter ihnen her. 
Nirgends Ruhe! nirgends Rast! Kaum hatten sie ein Feuer an¬ 
gemacht und sich um dasselbe gelagert; augenblicklich schreckte sie wieder 
das Hurra der Kosacken auf. Der bloße Ruf: „Kosacken!" setzte 
ganze Haufen in schnellen Trab; wen die Kraft zum Fliehen ver¬ 
ließ, streckte vergebens die Hand nach den athemlos Vorübereilen¬ 
den aus. Betäubt vor Kalte wanderten viele wie Wahnsinnige 
mitten in das Feuer. Die Russen fanden oft des Morgens um 
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