fullscreen: Bilder aus den Landschaften des Mittelrheins (Bd. 4)

312 Deutsches Leben im Mittelalter am Rhein. 
zum Hauptschlage gegen die Sachsen betreiben. So theilte, als das Franken¬ 
reich noch bis zum Ebro und Tiber reichte, als das im Wesen gallisch gebliebene 
Westfrancien noch den eigentlichen Schwerpunkt der Karolinger bildete, als 
der Zug nach Rom nichts Anderes bezweckte, als das offizielle Siegel auf 
die faktische Erneuerung des römischen Imperiums aufzudrücken, schon das 
mittlere Rheinbecken mit dem Niederrhein die Ehre, den römischen Kaiser 
deutscher Nation, den rsstitutoi- imperii Romani, auf seinen gesegneten Fluren 
zu beherbergen. Schon damals, als der Slave und der Avare. der Khalif 
und der Normannenfürst, die Botschafter zu den Reichstagen nach Aachen uud 
Paderborn zogen, bildete die Rheinlinie und besonders der untere Theil des 
Rheinbeckens von Speyer bis Mainz des Reiches Achse und Mittelpunkt. 
Durch den Vertrag von Verdun, der das Frankenreich drittheilte, hatte 
die politische Bedeutung des Rheinlandes gelitten, da der geographische Mittel- 
puukt des neuen Deutschlands mehr in den Main- und Donaugegenden als in 
den Rheingauen lag. Obwol nun mit Rücksicht auf diese Thatsache uud auf 
militärisch-politische Maßnahmen Ludwig der Deutsche gezwungen war, nach 
Regensburg des neuen Reiches Residenz zu verlegen, trat doch alsbald nach der 
Theilung Lothringens, durch den Vertrag von Merfen, hierin eine Aenderuug ein. 
Danach und nach späteren Abmachungen kam das Land im Osten und Norden 
der Maas, jenes an der Mofel, das auf beiden Seiten des Rheins und im Jura, 
das Elsaß und ein Stück Burguudiens an Ludwig den Deutschen, der von 
Tullum, Virodumim und Cameracum bis Passawa, Erpesfuxt und Magade¬ 
burg gebot. Obwol nun damals Ende des 9. Jahrhunderts Frankfurt ein 
offener Flecken war, verlegte dennoch Ludwig der Deutsche hierher seinen Hof- 
halt, um dem Rheine, dem jetzigen Mittelpunkt seiner Macht, nahe zu seiu. 
Und von da an dauerte dies Verhältniß der Rheinlande zu den Herrschern 
im Reiche ein halbes Jahrtausend, bis die Besitztümer der Habsburger im 
Osten und ihre falsche Sonderpolitik damit eine Verschiebung der Reichsgewalt 
nach Osten hervorriefen. Verfiel auch unter den schwachen Nachfolgern Ludwig's 
des Deutschen im 9. Jahrhundert die Schöpfung Karl's des Großen, brachen 
im Süden die räuberischen Ungarn über die Donaulande uud den Oberrhein 
ein, während im Norden bis Köln herauf die beutelustigen Normannen brand- 
schätzten, so baute sich doch unter der Ottonen kraftvollem Regiments ein deutsches 
Reich aus mit einem energischen Königthum, das von der Idee der Reichseinheit 
ausging, und das die schon divergirenden Elemente des Kirchenregiments, des 
hohen Adels und der ausstrebenden Städte zu einem organischen Ganzen zu 
verbinden bestrebt war. Während das Lehnswesen im Kampfe mit der 
Gemeindefreiheit besonders auf dem Lande entschieden die Oberhand gewann, 
waren es die alten Munizipalverbände, die dem seit den Karolingern über- 
mächtig andrängenden Faktor dieses fremden romanischen Wesens die Spitze boten, 
uud sie wurden hierin unterstützt von der Königsmacht, die sich in den Mittel- 
puukt der Dinge stellte, das Wohl der Gefammtheit ins Auge faßte, den Ueber- 
muth der mächtigen Lehnsherren, besonders der Herzöge, brach nnd den gemeinen 
Mann gegen Vergewaltigung schützte. Dieser stete Kampf der Reichsgewalt 
gegeu die ceutrifugalen Elemente unter den Ottonen hatte zur Folge, daß kräftige 
Herrscher, wie Otto der Große, zur steten Wanderuug von einer Pfalz zur an- 
dern genöthigt waren, daß die Reichsgewalt keinen andern festen Mittelpunkt hatte
	        
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