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Aus der Geschichte des Mittelalters.
Tribur, der König solle sich binnen Jahr und Tag vom Banne
lösen lassen, sonst würden sie einen anderen wählen; zugleich luden sie
Gregor für nächsten Februar nach Augsburg ein, wo er als Schieds¬
richter zwischen ihnen und dem Könige entscheiden sollte. — Um diese
Pläne zu vereiteln, ging Heinrich im Winter mit seiner Gemahlin Berta
über die Westalpen, begab sich nach Canossa, der Burg der „großen"
Gräfin Mathilde, wo sich Gregor, schon auf der Reise nach Deutschland
begriffen, aufhielt, und erreichte durch dreitägige Buße Lösung vom Banne.
Die Fürsten erkannten aber diese Abmachung nicht an, sondern erklärten
zu Forchheim Deutschland für ein Wahlreich, setzten Heinrich ab und
stellten, gegen den Willen der päpstlichen Legaten, das erstemal in der
deutscheu Geschichte, einen Gegenkönig auf. Sie nahmen also das
Recht für sich in Anspruch, den König nicht nur uach ihrem Er¬
messen zu wählen, sondern auch, sofern er ihnen nicht genehm
war, ihn abzusetzen. Damit wurde die königliche Gewalt der der
Fürsten untergeordnet, die von Otto begründete Verfassung gestürzt. Da
sich Heinrich nicht fügte, kam es zwischen ihm und den Fürsten zum
Kampfe. Sie wählten zunächst Rudolf von Schwaben zum Könige.
Dieser wurde daher fernes Herzogtums entsetzt und Schwaben von Heinrich
an Friedrich von Büren, den Stammvater des hohenstanfischen Königs¬
geschlechts, gegeben. An ihm, seinem Schwiegersöhne, hatte Heinrich wie
an Süddeutschland eine zuverlässige Stütze, während für Rudolf haupt¬
sächlich die Sachsen und der niedere Adel eintraten. Anfangs hielten die
Kräfte einander die Wage, nach dem Tode Rudolfs aber gewann Heinrich
die Oberhand; der zweite Gegenkönig, Hermann von Salm, ist ihm niemals
gefährlich geworden.
Züge nach Italien. Da der Papst Heinrich zum zweitenmal
gebannt hatte, zog dieser nach Rom und empfing von dem zu Brixen
gewählten Gegenpapste Klemens III. die Kaiserkrone. Hatten bisher
hauptsächlich die Kluniazenser, die deutschen Fürsten, die sogen. Pataria
der Lombarden und die Markgräfin Mathilde Gregor unterstützt, so zeigte
sich jetzt zuerst sein Verhältnis zu den Normannen, die Lehnsleute des
Papstes waren, in seiner ganzen Bedeutung. Der Herzog Robert Guis-
kard befreite Gregor aus der Engelsburg, wo er eingeschlossen war,
mußte sich aber, da er die Stadt plünderte und verwüstete, zurückziehen.
Gregor folgte ihm und starb 1085 in Salerno. — Der Grundgedanke seines
Lebens, daß dem Papste das Recht auf die Weltherrschaft zustehe, lebte
in seinen Nachfolgern weiter.
Zu einem vollen Siege ist Heinrich nicht gekommen, zumal die bald
anhebende Kreuzzugsbegeisterung die Aufmerksamkeit von den ermüdenden
kirchlichen Häudelu ablenkte.
Verärgert wurden Heinrich vollends seine letzten Lebensjahre durch
das Verhalten seiner Söhne. In Italien hatte er seinen Sohn Konrad
als Stellvertreter zurückgelassen. Dieser wurde für die kirchlichen Be¬
strebungen gewonnen, die mit den weit verbreiteten Wünschen nach einem