Frankreich.
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§ 1. Richelieu und Mazarin. Am Ende des 16. Jahrhunderts war
die Macht des Königs von Frankreich noch nicht unbeschränkt; weseut-
liche Rechte der obersten Staatsgewalt lagen in den Händen der General-
stände (Etats generaux), einer Vertretung der Geistlichkeit, des Adels und
des Bürgertums, und in denen der Parlamente, d. h. der obersten Gerichts-
Höfe*). Die Parlamente behaupteten, daß königliche Erlasse erst durch die Ein-
tragung in ihre Register Gesetzeskraft erhielten, und übten damit tatsächlich
das Recht der Steuerverweigerung aus. Überdies genoß der große Adel,
der seine Selbständigkeit in den Religionskämpfen befestigt hatte, noch das
Vorrecht des bewaffneten Widerstandes gegen Befehle des Königs. Dies
Recht hatte das Edikt von Nantes auch den Hugenotten eingeräumt,
indem es ihnen die Besetzung mehrerer fester Plätze zugestand.
Im Kampfe gegen diese Kräfte ist die Monarchie geschaffen worden,
sie war die Vertreterin der Einheit der Staatsgewalt.
1. Richelieu. Ihr vornehmster Begründer ist der Kardinal Richelieu,
Frankreichs größter Staatsmann im 17. Jahrhundert. Armand du Plessis,
Herzog von Richelieu, Bischof von Lucon und Kardinal, wurde im Jahre
1624 von Ludwig XIII., dem Sohne Heinrichs IV., zum ersten Minister
berufen. Er hielt zwei Ziele fest im Auge: im Innern jeden Wider-
stand gegen die volle Entfaltung der königlichen Gewalt zu
brechen, nach außen Frankreichs Macht auf Kosten des Hauses
Habsburg zu vergrößern. Diese Politik brachte den scheinbaren Wider-
spruch in seiner Regierung mit sich, daß er den Protestantismus außerhalb
Frankreichs unterstützte, im eigenen Lande dagegen seiner politischen Vor-
rechte entkleidete.
Er hat die Generalstände niemals berufen und die politischen An-
sprüche der Parlamente zurückgewiesen, in schweren Kämpfen den Adel
niedergeworfen, obwohl die Königinmutter und der Bruder des Königs
auf dessen Seite standen, ja nach dem Siege mehrere seiner vornehmsten
Mitglieder auf das Schafott geschickt. Eine Empörung der Hugenotten
im Bunde mit England gab ihm endlich Gelegenheit, ihnen ihre festen
Plätze, darunter La Rochelle, zu entreißen und ihre politische Souder-
stellung zu beseitigen. Ihre Religionsfreiheit tastete er nicht an.
Gleichzeitig trat er in den Niederlanden, Italien und Deutschland
der Habsburgischen Macht entgegen, schloß mit Gustav Adolf einen
Vertrag und zahlte seitdem Schweden Hilfsgelder. Im Jahre 1635 begann
er den großen Krieg gegen Spanien und das Deutsche Reich.
2. Mazarin, ein Italiener von Geburt, eine weniger groß ange-
legte Persönlichkeit als Richelieu, aber einer der geschicktesten Diplomaten,
setzte als erster Minister unter der Königin Anna, die für Ludwig XIV.
die vormundschaftliche Regierung führte, die eingeschlagene Politik fort.
*) Die Stellen an diesen Parlamenten waren erblich und käuflich, und so bildete
sich allmählich aus dem Kreise der Familien, deren Mitglieder fie zu besetzen pflegten
ein Parlamentsadel heraus (Noblesse de robe).