Die Zeiten der letzten Karolinger in Deutschland. 59
sich Recht zu verschaffen, sangt seit Ludwigs des Frommen Zeit, der
mit seinen eigenen Söhnen das Beispiel gegeben hatte, recht an, und
hat sechs Jahrhunderte hindurch in unserm Vaterlande geherrscht.
Man nennt dieses die Zeit des Faustrechts, wovon weiter unten
ausführlicher die Rede seyn wird. Doch war es nicht immer gleich
arg. Wenn ein kräftiger König regierte, der sich Ansehn zu ver¬
schaffen wußte, so ging es doch im Ganzen viel ruhiger und fried¬
licher zu; kam aber ein schwacher und saumseliger, so wollte sich kein
Mensch etwas sagen lassen, und Gewalt ging über Recht.
Am unglücklichsten ging es in den Zeiten des Faustrechts den
gemeinen freien Leuten auf dem Lande. Ihre Höfe und Felder lagen
offen da. Wenn die adligen Nachbarn ihre Fehde ausfochten, so
ging es oft über des Landmanns Acker hin, seine Saaten wurden
von den Hufen der Pferde zertreten, ja sein Haus und Hof oft eine
Beute der Flamme. Doch waren diese vielen kleineren Fehden in
der Zeit der spateren karolingischen Könige, von denen wir zunächst
reden, noch selten; damals richteten die Raubzüge der Normanner,
Slaven und Ungarn viel größeres Unheil an. Städte, in deren
Mauern sich die Landleute etwa hätten retten können, gab es im
Innern von Deutschland, wie wir wissen, noch so gut wie gar keine;
daher konnten die räuberischen Feinde bei jedem Zuge viele Tausende
von Männern, Frauen und Kindern als Sclaven mit sich sortführen,
und ganze Landstriche lagen verödet da. Endlich war auch noch eine
dritte Ursache, welche die Zahl der freien Landleute außerordentlich
verringerte und die der unfreien, die von einem adligen Herrn
oder einem Kloster abhängig waren, vermehrte; das war der be¬
schwerliche Kriegsdienst im Heerbanne. Wenn der Landmann
lange von Haus und Hof entfernt seyn muß, so geht es mit seiner
Wirthschaft rückwärts; viele suchten sich daher von diesem Dienste
auf irgend eine Weise loszumachen. Das ging am leichtesten, wenn
sie sich in die Leibeigenschaft eines benachbarten Edelmanns oder
eines Klosters begaben; denn alsdann brauchten sie gar nicht mehr
in den Krieg zu ziehen. Diese Einrichtung war aus der alten ger¬
manischen Verfassung noch übrig, daß nur der freie Mann für
würdig gehalten wurde, die Waffen zu tragen; wer einem andern
mit seinem Leibe dienstbar war, durfte in den Reihen der freien
Krieger nicht erscheinen. Manche konnten sich zwar, ungeachtet aller
Bedrängnisse, doch nicht entschließen, ihre Freiheit aufzugeben; denn
sie bedachten, daß der Mann, welcher keine Waffen mehr führen darf,
gewiß auch bald feige, und wer sich selbst nicht mehr angehört, son¬
dern dem Willen eines Andern dienen muß, auch bald knechtisch und
träge wird. Die Meisten aber dachten nicht so, sondern verkauften
ihre Freiheit gegen die Befreiung vom Kriegsdienste, wurden Leib¬
eigne eines Adligen oder eines geistlichen Stiftes, und blieben nun
mit Frau und Kindern an das Stück Land gebunden, welches ihnen
sonst als freies Eigenthum gehört hatte. Sie durften dasselbe nicht
verkaufen, ja, nicht einmal verlassen, sondern ihr Herr konnte sie