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Griechische Geschichte.
2. Die Dichtkunrt.
§ 73. Das Epos. Die Anfänge der epischen wie der hellenischen
Dichtung überhaupt sind in Dunkel gehüllt. Tie Überlieferung erzählt
von einer Reihe von priesterlichen Sängern, wie von Enmolpus. Mnsäns
u. a. Thamyris unterlag im Wettstreit mit den Musen, der phrygische
Flötenkünstler Marsyas mußte vor dem Spiel der Kithara Apollos
weichen. In Orpheus, dem Sänger aus Thracien, dem Heimatlande der
Musen — von der Landschaft Pierien am Fuße des Olymp werden die
Musen beigenannt —, der Tiere, Bäume, Felsen durch seinen Gesang
anlockte und die Göttin der Unterwelt in Entzücken setzte, fand die Macht
des Gesanges zuerst eine typische Verkörperung.
Heiden- Wie man bei den alten Germanen Gesänge zum Preise der Ahnen
gesange. vortrug, so sand auch bei den Griechen die epische Sangeskunst wohl zu-
nächst ihre Pflege beim festlichen Gelage im Männersaale. Jeder Held
spielte und fang in alter Zeit wie die Ritter auf den Burgen des Mittel-
alters. Achilles und Patroklus besingen im Wechselgesang im Zelte des
Achilles die Ruhmestaten der Helden. Daneben kam aber, wie wir an
den Sängergestalten der Odyssee, an Phemius und Demodokus, sehen,
schon früh ein eigener Sängerstand auf. der großes Ansehen genoß. Da
die Ausübung der Kunst sich mündlich fortpflanzte, so bildete sich all-
mählich eine eigene epische Kunstsprache aus mit formelhaften Wendungen,
feststehenden Beiwörtern und Redensarten. Den Stoff der epischen Ge-
sänge ergab die Heldensage. Die großartigste Blüte dieser epischen
Sangeskunst haben wir in Homers Jlias und Odyssee erhalten. Dem
Homer folgten eine Reihe von Dichtern, die zu Jlias und Odyssee eine
Vor-, Zwischen- und Nachgeschichte gaben. Ihre Dichtungen, von denen
uns nur geringe Bruchstücke erhalten sind, bildeten mit den homerischen Epen
eine Einheit, die man mit dem Gesamtnamen des „epischen Kyklos" nennt.
Homerische Die homerischen Gesänge wurden von fahrenden Sängern, den Rhap-
Hymnen, bei festlichen Gelegenheiten in geeigneten Abschnitten vorgetragen.
Der Vortrag begann mit einer Anrufung der Götter, öfters mit einem
längeren Preis der Gottheit, deren Fest man gerade feierte. Daraus
entstanden eine Reihe von Gedichten, die man homerische Hymnen
nennt, obwohl sie weder Hymnen sind, noch Homer sie gedichtet hat.
Verschieden von der heiteren und lebensfrohen Art des jonischen
Hest^d.Epos sind die Werke des Hesiüd. Dieser lebte um 700 v. Chr. in
Böotien. Seiu Bruder Perses übervorteilte ihn bei der Erbteilung durch
Bestechung der Richter und kam endlich, nachdem er sein Gut durch
Müßiggang verschwendet hatte, als Bittender zu ihm. Da dichtete Hesiod
für ihn Rüge- und Mahnlieder, die zu einem Epos „Werke und Tage"
(eoya xal fjjuegai) zusammengestellt sind. Das Gedicht ist eine Ermahnung
zu ehrlicher Arbeit uud eine Belehrung über deu Ackerbau. Das ganze