Sirfan über ihren Häuptern schwirrt! Mit verzweifelnder Hast drängen
sie hinweg von dem Opfer, bäumen sich, schlagen, um Raum zu gewinnen.
Wiehern und Angstgeschrei erfüllt ohrzerreißend die Luft, bis der zu¬
sammengeballte Knäuel sich gelöst hat, und nunmehr die Pferde nach
allen Richtungen der Windrose auseinander stieben. Allein die Rufe
der Leithengste locken die Gescheuchten bald wieder in die eifersüchtig
gehüteten Trupps zusammen, und nicht lange, so ist die Gefahr ver¬
gessen, während sie in der Gestalt der gutberittenen Hirten schon wieder
ganz nahe ist. Es gibt kein aufregenderes Schauspiel als solches
Pferdejagen.
Aber dabei muß man auch die Tataren sehen. Die verschiedenen
Völkerschaften der russischen Steppen, Kosaken, Baschkiren, Tschuwaschen,
Mordwinen und Zigeuner sind samt und sonders vortreffliche Reiter
und von frühester Jugend an auf dem Pfexde, so daß sie vollständig
mit ihm zusammenwachsen. Allen voran ist der Tatar als verwegenster
Reiter, kühner Rossebändiger und gewiegter Pferdekenner; mit dem
Arkan in der Hand zeigt er sich durchaus nur von der vorteilhaften
Seite. Das auserkorene Tier, meistens ein dreijähriges Fohlen, das
noch niemals des Menschen Hand und Gewalt erprobt hat, macht er¬
schreckt verzweiflungsvolle Anstrengungen, um der Schlinge zu entgehen,
aber dadurch zieht sich diese nur immer enger zusammen und schnürt
ihm dermaßen den Hals zu, daß es röchelnd hinstürzt. Wie eine Katze
arbeitet sich nun der vom eigenen Pferde gesprungene Tatar, Hand
um Hand vorgreifend an dem Arkan hin, bis zu dem zappelnden,
bewußtlosen Wildling; in einem Augenblick ist dem Tier ein Zaum
über den Kopf gestreift, ein Gebiß in das Maul geschoben; dann
wird die furchtbare Schlinge gelöst. Allmählich kommt das Fohlen
wieder zu sich. Wie in stillem Staunen liegt es einen Augenblick da;
auf einmal kommt ihm das Bewußtsein seiner Lage: wie der Blitz
springt es auf die Beine — aber umsonst, eben so rasch sitzt schon der
Bändiger auf seinem Rücken. Mag dann das entsetzte Roß versuchen,
was es will, es gelingt ihm nicht mehr, seine alte Unabhängigkeit
zurückzuerobern. Freilich schießt es kreischend, schlagend, schüttelnd, um
sich beißend, in tollen Sätzen hinaus in die Steppe, aber in wenig
Stunden kommt es zurück, gebändigt und gelehrig; es ist der Zivilisation
gewonnen und läßt sich den Sattel auflegen.
Reben den Tabunen der Steppenpferde zeigen sich die Rinderherden,
die in großen Trupps von mehreren hundert Stück da und dort weiden.
Es sind prächtige Tiere, von der im ganzen Südosten Europas ver¬
breiteten sogenannten Podolischen Rasse, von weißgrauer Farbe und
mit großen, einwärts gekrümmten Hörnern. Das stete freie Leben in
der Steppe hat ihnen den dummstieren Ausdruck genommen, der sie
dort kennzeichnet, wo sie nur im Stalle gehalten werden. Mit klugen
Porger-Lemp, Lesebuch. Y. 9