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„Und könntest du mir sagen, was du von da droben siehst, ob es aus jener 
Seite feindliche Soldaten, Staubwolken, glänzende Gewehre, Pferde gibt?" 
„Ganz gewiß könnte ich das." 
„Was willst du für diesen Dienst?" 
„Was ich will?" sagte der Knabe lächelnd; „nichts! Das fehlte noch! Und 
dann: Wenn es für die andern wäre — um keinen Preis; aber für die Unsrigen! 
Ich bin Lombarde." 
„Gut. So geh hinauf." 
„Einen Augenblick! bis ich die Schuhe ausgezogen habe." Er legte die 
Schuhe ab, zog den Gürtel fester um den Leib, warf die Mütze ins Gras und 
umfaßte den Stamm der Esche. 
„Aber gib Acht!" rief der Offizier, indem er eine Bewegung machte, als 
ob er ihn, wie von einer plötzlichen Furcht ergriffen, zurückhalten wollte. 
Der Knabe drehte sich um und sah ihn mit seinen schönen blauen Augen 
fragend an. 
„Nichts," fagte der Offizier; „steig hinauf!" Der Knabe kletterte hinauf 
wie eine Katze. 
„Sehet vorwärts!" rief der Offizier den Soldaten zu. 
In wenigen Augenblicken war der Knabe auf dem Wipfel des Baumes, 
den Stamm umschlingend, mit den Beinen zwischen dem Laub, aber mit dem 
Körper darüber hinausragend, und die Sonne brannte auf seinen blonden 
Kopf, daß er schimmerte wie Gold. 
Der Offizier sah ihn kaum, so klein erschien er dort oben. 
„Schau' grad aus in die Weite!" rief der Offizier. 
Der Knabe ließ die rechte Hand vom Baume los und legte sie, um besser 
zu sehen, an die Stirne. 
„Was siehst du?" fragte der Offizier. 
Der Knabe beugte das Gesicht gegen ihn, und indem er seine Hand als 
Sprachrohr benutzte, antwortete er: „Zwei Männer zu Pserd, auf der weißen 
Straße." 
„In welcher Entfernung von hier?" 
„Eine halbe Meile." 
„Bewegen sie sich?" 
„Sie halten an." 
„Was siehst du weiter?" fragte der Offizier nach einem Augenblick des 
Stillschweigens; „sieh nach rechts!" 
Der Knabe sah nach rechts. 
Dann sagte er: „In der Nähe des Kirchhofes, zwischen Bäumen glänzt 
etwas. Es scheinen Bajonette zu sein." 
„Siehst du Leute?" 
„Nein, sie werden im Korn verborgen sein." In diesem Augenblick sauste 
eine Kugel hoch oben pfeifend durch die Lust und schlug weit hinter dem 
Hause ein. 
Lehmann, Teutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten, Ul Teil. 
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