Vorbemerkungen.
1. Begriff des Wortes Gefchichte. Geschichte im engeren
Sinn ist der wahrheitsgetreue Bericht von dem, was auf Erden geschehen
ist. Ein solcher Bericht beruht vor allem auf der geschriebenen Über-
lieferung, setzt also die Kenntnis der Schrist voraus. Die Quellen der
Geschichte sind demnach Inschriften aus Stein und Erz sowie sonstige Ur-
künden, Münzen, endlich eigentliche Geschichtswerke. Die mündliche Über-
lieserung des Geschehenen, welche sich besonders in Sagen und Liedern sort-
pflanzt, sowie die alten Baudenkmäler ermöglichen nur eine annähernde
Kenntnis von den ältesten Zuständen der Völker.
Die vorgeschichtlichen (prähistorischen) Zeiten aufzuhellen, dienen 1. Funde
aus Gräbern: Geräte, Waffen, Skelette, besonders die Schädel; sodann aber
2. die Vergleichnng der Sprachen. Haben zwei oder mehr Sprachen die
gleichen oder urverwandte Worte für die nämlichen Gegenstände, so beweist dies
entweder, daß das eine Volk sie von dem anderen entlehnte oder daß die betreffenden
Völker noch zusammenwohnten, als sie diese Gegenstände zu bezeichnen begannen.
Z. B. wird ein solches Zusammenwohnen für die Vorfahren der Inder, Perser, Römer
und Goten durch die übereinstimmende Bezeichnung des Erzes (Kupfers) wahrscheinlich
gemacht: altiud. äyas, altpers. ayanh, tat. aes, got. ais. Da nun auch viele Wörter,
die sich auf das Hauswesen und auf die Viehzucht beziehen, diesen Völkern gemeinsam
sind, z. B. Tor (Türe), Vieh, Herde, so kann man annehmen, daß sich diese später
soweit voneinander getrennten Völker in der frühen Zeit ihres Znsammenwohnens
schon einige Bequemlichkeit und Ordnung des Lebens angeeignet hatten.
2. Umfang der Geschichte. Gegenstand der geschichtlichen Dar-
stellung sind zunächst nur diejenigen Völker, die aufeinander einwirken und
an der Weiterbildung der Menschheit beteiligt sind.
Völker, welche geordnete staatliche Einrichtungen, Landbau, Gewerbe und Handel,
Kunst und Literatur, endlich eine ausgebildete Religion aufzeigen, heißen Kultur-
Völker. Solche Kulturvölker, welche auf sich beschränkt bleiben, werden gewöhnlich
von der Darstellung in der Geschichte ausgeschlossen. So haben die Chinesen schon
früh eine eigenartige Kultur entwickelt, blieben aber fast ohne Einfluß auf die übrigen
Völker, bis in der Gegenwart Ostasien eine unerwartete Bedeutung auch für Europa
gewann. Ebenso sind die Inder nur vorübergehend (zur Zeit Alexanders d. Gr.
und seit dem Zeitalter der Endecknngen) mit den Europäern in Berührung gekommen.
Stich, Lehrbuch der Geschichte. I. Bd. 4. Auflage. 1