fullscreen: Geschichte der neueren Zeit (Teil 3)

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entfiel und ein junger Höfling es ihr aufnahm. Anna hatte näm¬ 
lich einen höchst munteren, heitern, Sinn, so daß sie sich bei allem, 
was sie tat, nichts Arges dachte; dabei war sie so weit entfernt 
von Hochmut, daß sie mit allen die sonst ihres Gleichen gewesen 
waren, ebenso freundlich und zutraulich wie ehedem umging. Von 
bei an wurde jede freundliche Miene, jedes milde Wort, jede gut- 
tätige Handlung der Armen als Verbrechen gedeutet, und ohne 
Verhör wurde sie plötzlich ergriffen und in den Tower geführt. 
Als sie bas Gefängnis betrat, fiel sie auf ihre Knie nieber, rief 
Gott zum Zeugen ihrer Unschuld an unb bat ihn, sie so gewiß 
selig zu machen, als sie unschulbig sei. Hier zeigte sich wieber, 
wie an Höfen nur bem Glücklichen bie allgemeine Gunst sich zu- 
wenbet. Kaum war Anna in Ungnabe gefallen, als alle ihre bis¬ 
herigen Verehrer unb Freunde ihr ben Rücken zuwanbten, unb nur 
ein einziger fanb sich, ber es wagte, für sie beim Könige zn 
sprechen. 
Aus bem Tower schrieb sie an ben König einen rührenben 
Brief, um ihn zu tnilberen Gesinnungen zu bewegen. Aber alles 
war vergebens. Heinrich wollte sie los sein, barurn mußte sie schulbig 
fein. Doch obgleich ihre erbittertsten Feinbe ihre Richter waren, 
so konnte ihr boch kein Verbrechen bewiesen werben. Einem ber 
Hofleute, bie ber Freunblichkeit wegen, mit welcher Anna mit ihnen 
sollte gesprochen haben, auch gefangen gefetzt waren unb hingerichtet 
werben sollten, bot man bas Leben an, wenn er bie Königin an¬ 
klagen wollte. „Behüte ber Himmel!" ries er aus, „ich hatte sie 
für unschulbig unb wollte lieber taufenb Leben verlieren, als einen 
unschnlbigen Menschen üerleuinben." Dennoch sprachen bie Richter 
ihr „Schulbig" aus. Sie sollte, nach ber Entscheibnng bes Königs, 
entweber verbrannt ober enthauptet werben. Als man ihr bas 
Urteil anfünbigte, erschrak sie nicht, aber sie hob ihre weißen Hänbe 
gen Himmel unb rief: „0 Vater, ber bu ber Weg, bie Wahrheit 
unb bas Leben bist, bu weißt, baß ich biesen Tob nicht tierbient 
habe." Daun ließ sie bem Könige sagen, sie banse ihm sehr, daß 
er so eifrig stuf ihre Erhebung bebacht fei. Aus einem bloßen 
Fräulein höbe er sie zur Marquisin, bann zur Königin erhoben,
	        
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