Full text: Die Hauptereignisse der römischen Kaiserzeit, Deutsche Geschichte bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges (Teil 5)

70, Raffael, Madonna im Grünen. Wien. 
3m Gegensatz zu Michelangelo ist Raffaels Leben und Wirken 
vollendete Harmonie. Seine Größe beruht darin, daß er schmiegsam genug 
war, von allen zu lernen, und doch groß genug, um er selbst zu bleiben; 
so faßte er die ganze bisherige Entwicklung harmonisch in sich zusammen. 
Geboren 1483 in Urbino in Umbrien als Sohn des Malers Giovanni 
Santi, hatte er sich dann in Perugia ganz in seines Meisters (67) Mal¬ 
weise eingelebt und auch größere Kompositionen in dessen Auftrag aus- 
geführt. Seit 1499 in Florenz, wurde er, da größere Aufträge, wie er 
sie in Peruginos Werkstatt, zuletzt den Meister selbst übertreffend, erledigte, 
ausblieben, fast ausschließlich Madonnenmaler. Indem er die Madonna 
als das Ideal reinster Mutterliebe darstellte, schuf er göttliche Genre- 
bilder, in denen sich wie in 70 der Ernst künftiger Zeiten in kindlichem Spiel 
ahnungsvoll ankündigt. Formell versucht er sich immer wieder in pyra- 
midalem Ausbau der Gruppe. In Rom, wohin er, wohl auf Bramautes 
Anregung, 1505 von Julius II. berufen wurde, wählte er für seine 
Madonna den römischen Frauentypus, so in seiner innigen Madonna della 
Sedia, in seiner göttlich erhabenen sog. Sixtinischen Madonna (Dresden). 
Doch erwarteten ihn hier zunächst neue, höhere Aufgaben, die er scheinbar 
mühelos und doch mit erstaunlichem Fleiße löste, die Ausschmückung der 
päpstlichen Staatszimmer (le stanze) mit Fresken. Von diesen kommt an 
geistigem Gehalk, wohlabgewogener und doch freier Komposition keines der 
„Schule von Athen" gleich (71). Hatte man früher die sieben freien Künste, das 
Quadrivium (Musik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie) und das Trivium 
(Grammatik, Dialektik, Rhetorik) als weibliche Allegorien, etwa mit je einem 
Schüler gruppiert, dargestellt, so treten hier die lebendigen Vertreter der ge- 
samten Geisteswissenschaften im Tempel der Weisheit zu idealer Gemein- 
schaft zusammen, an ihrer Spitze, allein von der Luft sich abhebend (vgl. 69) 
und durch den Bogen im Hintergrund zusammengefaßt, Plato, der Idealist, 
zum Himmel, Aristoteles, der Realist, zur Erde weisend. Zum vollen Ver- 
ständnis bedarf es der Kenntnis der griechischen Philosophie. Im Gegen- 
satz zu 69 waltet in der Komposition nicht Berechnung, sondern höchste fünft- 
lerische, wenn auch auf sorgfältigen Studien beruhende Eingebung. Köstlich 
die Gruppe der vier Schüler um Archimedes (oder Euklid) mit den Zügen 
Bramantes. Welche Stufenfolge des Verständnisses stellen sie dar? An 
welchen Bau erinnert die Halle? — R. von Ptolemäus (Zackenkrone!) Raffael.
	        
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